Sommerflimmern (German Edition)
reicht sie mir. Ich blinzle, sehe den dunklen, nassen Fleck, den ich auf seinem T-Shirt hinterlasse, und trockne mir das Gesicht.
Plötzlich lässt Juan mich los und beginnt, die Reste unseres Picknicks zur Seite zu räumen. Er will doch nicht etwa gehen? Klar, ich jammere wie ein Schulmädchen und erzähle etwas von Stahlbetonkonstruktionen. Bestimmt will er gehen. Regungslos sehe ich ihm beim Aufräumen zu.
Als alle Dosen verschlossen und die Gläser in Sicherheit sind, zieht er ein Sweatshirt aus seiner Tasche, faltet es sorgsam zu einem kleinen Viereck zusammen und legt es hinter mich auf die Decke.
»Komm«, sagt er leise und lehnt sich zurück, um sich hinzulegen, deutet dabei mit einem Blick auf die Decke an, dass ich dasselbe tun soll. Ohne Zögern lasse ich michauf die Decke sinken, den Kopf weich gebettet auf dem Sweatshirtkissen.
Meine rechte Hand lege ich auf die Stelle kurz über meinem Magen, spüre dort ein gleichmäßiges kräftiges Pulsieren. Ich genieße den Blick in das satte Grün der Blätter über mir, sie scheinen zu glitzern, tanzen in der leichten Sommerbrise, die gleichzeitig mein erhitztes Gesicht kühlt, und leuchten in den Strahlen der bereits tief stehenden Sonne. Egal, was ich tue, die Erde wird sich weiterdrehen, denke ich und finde diesen Gedanken gerade ungemein beruhigend. Ich atme tief ein, nehme die Gerüche des Sommers in mich auf, Platanen, Grillrauch, die Sonne auf meiner Haut, der Lavendel, der hier vereinzelt an den Parkwegen blüht, die feuchte, von Kindern zerwühlte Erde rund um den Seehundbrunnen … Plötzlich spüre ich etwas Warmes an meiner linken Hand. Es sind Juans Finger, die nach meinen suchen. Ich öffne meine Hand und lasse seine hineingleiten, umschließe sie mit meinen Fingern, so wie er meine umschließt und für einige Sekunden fest drückt. Ich antworte ihm, indem meine Hand den Druck erwidert. Wie kann etwas so beruhigend und aufregend zugleich sein? Ich könnte ewig so liegen bleiben, mit meiner Hand in seiner. Gleichzeitig habe ich Mühe zu atmen, mein Herz wird gleich zerbersten. Es gibt nichts, das ich jetzt mehr möchte, als ihn noch näher an mich heranzuziehen, ganz nah.
»Was denkst du?«, fragt er unvermittelt.
Seine Stimme ist leise, klingt ein wenig heiser. Ich drehe ihm mein Gesicht zu, wir sehen uns an, seine Augen nehmen mich ganz in sich auf, die Umgebung verschwimmt, mir wird im Liegen schwindelig. Er drückt wieder meine Hand, diesmal so fest, dass es fast schmerzt, aber ich erwidere den Druck, so fest ich kann, wir nehmen gleichzeitig einen tiefen Atemzug. Juan lacht kurz auf, räuspert sich und blickt in den Himmel.
»Siehst du die Mauersegler? Ich mag es, wie sie sich auf den Luftströmen gleiten lassen … fast, als würden sie auf unsichtbaren Wellen surfen.«
Ich sehe sie. Es sieht ganz leicht aus, fast, als könnte ich es ihnen auf der Stelle gleichtun. Ich müsste nur aufstehen. Will ich aber gar nicht. Dann fällt mir etwas ein.
»Was meintest du eigentlich damit, dass du … den Blick zwanzig Jahre lang gesehen hast? Doch nicht etwa im Spiegel, oder?«
Juan lacht laut auf und ich freue mich, das schönste Lachen der Welt zu hören.
»Nein, nicht im Spiegel. Ich habe von meiner Mutter gesprochen. Als sie meinen Vater kennengelernt hat, hat sie auch gemalt. Doch sie wurde ziemlich schnell mit mir schwanger und in Spanien hat sie sich dann um mich, meine Geschwister und meine Großmutter gekümmert. Mein Vater wollte nicht, dass sie weiter malt, ›dumme Flausen‹ hat er es genannt. Meine Mutter war die liebevollste Mutter, die du dir vorstellen kannst. Sie hat es uns an nichtsfehlen lassen. Aber ihr Blick, vor allem immer wenn sie mir von ihrer Zeit in Berlin erzählt hat, den kann ich nicht vergessen. Ich hatte oft den Eindruck, dass ein Teil von ihr hier geblieben ist. In Berlin.«
»Aber was hätte sie deiner Meinung nach machen sollen? Einfach abhauen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich weiß es nicht. Vielleicht ihren Traum nicht einfach aufgeben, sich mehr durchsetzen gegen meinen Vater … keine Ahnung.«
»Sie fehlt dir.«
»Jeden Tag … Aber komischerweise habe ich nicht das Gefühl, dass sie ganz verschwunden ist. Oje, lach mich bitte nicht aus, aber: Ich spreche sogar noch mit ihr!« Dabei lacht Juan selbst gelöst auf.
Bis die Sonne fast untergegangen ist, bleiben wir so dort liegen, unterhalten uns, schauen den Mauerseglern beim Surfen zu und den harmlosen, kleinen Schönwetterwolken, wie sie
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