Sommerflimmern (German Edition)
eben mit einer Bar. Oder eher einer wüsten Bretterkombination. Die Decken scheinen in diesem Raum noch niedriger. Ab zwei Meter Körperlänge bekommt man hier sicher Probleme und ohne Juan würde ich wahrscheinlich einen klaustrophobischen Anfall bekommen.
Wir betreten den dritten und letzten Raum, noch karger als die anderen, aber größer. Hier befindet sich die Bühne, die sich allerdings nur als solche erkennen lässt, weil dort, ebenerdig und ohne Abgrenzung zum Publikum, ein Schlagzeug, Verstärker, Gitarren, ein Bass und zwei Mikrofone stehen.
»Ich gehe übrigens morgen Vormittag in eine Galerie. Die haben ein paar meiner Bilder in ihr Programm genommen und so wie es aussieht, wollen die noch mehr. Hast du Lust mitzukommen?«, fragt mich Juan unvermittelt, als wir in eine Lücke zwischen den Leuten schlüpfen.
»Klar«, antworte ich, erleichtert, dass wir schon zu Anfang des Abends einen Plan für den nächsten Tag haben. Dann fällt mir erst auf, was er mir gerade erzählt hat.
»Juan, das ist ja großartig! Heißt das, die verkaufen Bilder von dir? Also so richtig?«, sprudelt es aus mir heraus.
»Ja, so richtig. Unglaublich, oder? Antoni hat mich mit denen bekannt gemacht.«
Dabei strahlt er, als hätte er bereits sein erstes Bild verkauft. Ich freue mich für ihn. Und fange an zu spinnen. Was wäre, wenn es in Berlin für ihn so gut laufen würde, dass er einfach hierbleiben könnte? Ich schließe meine Augen, kneife sie ganz fest zu und drücke dabei meine beiden Daumen, als wolle ich sie auspressen.
»Ähm, was machst du da?« Juan scheint irritiert.
Ich löse mich aus meiner Schicksalsbeschwörung und grinse ihn an.
»Och, nichts.«
Dann ertönt ein lautes Klopfen, Surren und Knarren von der Bühne. Instrumente und Mikrofone werden ein letztes Mal kurz getestet, das Publikum johlt und grölt, das Konzert beginnt.
Nach den ersten Takten strömen die Leute aus den anderen Räumen dazu, die Masse bewegt sich plötzlich als Ganzes, wie Wellen bei unruhiger See werden wir vor und zurück, hin und her geschoben. Mir laufen unzählige Schauer über den Rücken, Elefantengänsehaut auf meinen Armen. Aber nicht wegen der Masse, die mir keinen Millimeter für mich alleine zugesteht, nicht wegen der Luft, die schon jetzt zum Schneiden schwer über uns steht, sondern wegen der Gitarre, die plötzlich von einem schweren, fast unerträglich lauten, tragenden Takt in einen schnellen wechselt, der Sänger schreit auf, kurz danach der Bassist und dann geht es erst richtig los. Ich schaffe es eben noch, mir meine Tasche quer über die Schulter zu legen, schiebesie mir vor den Bauch und dann lasse ich los. Wo ich mich kurz zuvor noch gegen die Bewegung der Wellen gelehnt habe, lasse ich mich jetzt mit ihr treiben. Als der Rhythmus wieder schlagartig in den geradezu quälend langsamen wechselt, schließe ich die Augen, alles in mir spannt sich an und wartet auf den Moment der Erlösung, den Moment, wenn es wieder losgeht. Der Augenblick, in dem die Welle auf den Felsen prallt und explodiert. Da ist er. Noch mehr Schauer, noch mehr Gänsehaut. Nachdem das erste Stück beendet ist, wird das Grölen des Publikums von den Klängen des nächsten Stücks überschwemmt. Ich arbeite mich langsam vor, will so nah wie möglich nach vorne, trete ins Auge des Orkans. Während das Getrampel der Leute meine neuen Schuhe ruiniert und mir das völlig egal ist, passiert es. Ich lasse los und endlich: Ich fließe .
Anna, wenn du mich jetzt sehen könntest, denke ich kurz und dann nichts mehr. Nach zwei Zugaben stehe auch ich grölend und klatschend vor der Bühne und verlange nach mehr. Doch schließlich tönt Musik von CD aus den Boxen, die Show ist vorbei. So langsam realisiere ich, dass ich Juan aus den Augen verloren habe. Ich sehe mich um, kann ihn nirgends entdecken, grabe mir einen Weg zur Mitte des Raumes, wo ich mich einmal um 360 Grad drehe, um nach ihm Ausschau zu halten. Als ich die Runde gerade vollende, steht er plötzlich vor mir.
»Durst?«, fragt er und hält mir lächelnd ein kaltes Bier hin.
»Perfekt, danke«, seufze ich, um dann in einem Schluck die halbe Flasche zu leeren.
Die Musik wird aufgedreht, einige Leute tanzen um uns herum. Wir gehen in einen der anderen Räume und stellen uns dort in eine halbwegs ruhige Ecke.
»Dir hat das Konzert gefallen, oder?«, fragt er grinsend.
»Oh, Mann, du wirst lachen, aber ich habe so was noch nie erlebt. Das war wirklich … unglaublich!.«
»Freut mich,
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