Sommerflimmern (German Edition)
erkenne Frau Zastrow.
»Ach je, ham ’Se aber ordentlich geweint, was? Ach, die Liebe. Glauben ’Se mir, Kindchen, das geht vorüber.«
Sie beugt sich vor und zieht an meinem Arm.
»Und jetzt geb’n ’Se sich einen Ruck, tragen kann ich ’Se nicht. Wir gehen jetzt nach Hause.«
Zusammen mit Frau Zastrow erhebe ich mich und tapse, gestützt von dieser mindestens Achtzigjährigen, fast fremden Frau die Straßen entlang.
Glücklicherweise ist es nicht weit, aber als wir im vierten Stock ankommen, zittern meine Hände so sehr, dass Frau Zastrow das Türöffnen übernehmen muss. Hinter der Eingangstür lasse ich mich direkt wieder auf den Boden sinken.
Frau Zastrow läuft derweil durch die Wohnung.
»Frollein Buchbinder? Sind ’Se da?«
»Frau Zastrow?« Ich höre Annas erstaunte Stimme.
Dann irgendein Getuschel zwischen den beiden. Anna kommt in den Flur geeilt.
»Charlie!«
»So, sie beide schaffen das ja jetzt wohl alleine. Seien ’Se froh, dass ’Se sich ham.«
Ich möchte mich bedanken, bringe aber keinen Ton heraus. Anna übernimmt.
»Vielen, vielen Dank, Frau Zastrow. Sie haben was gut bei mir!«
»Lassen ’Se mal gut sein, Kindchen«, antwortet meine Retterin und schließt die Wohnungstür hinter sich.
»Juan?«, fragt Anna treffsicher.
Ich nicke nur.
»Verdammt«, bemerkt sie, hakt mich unter und schleppt mich ins Wohnzimmer.
»Okay. Auf geht’s.«
Tonlos, aber bis ins letzte stechende Detail erzähle ich Anna, was ich gesehen habe. Sie hört mir bis zum Schluss schweigend zu. Als ich ende, steht sie abrupt auf und läuft im Zimmer umher. Dabei hat sie zwei Finger auf ihren Mund gelegt, ihre Stirn ist gerunzelt und alles, was sie ab und zu von sich gibt, ist ein ›Hm‹. Manchmal auch ein ›Hm-Hm‹.
Als sie mit ihrer Lauferei fertig ist, setzt sie sich wieder zu mir. Die Stirnrunzeln sind verschwunden, der Mund ist wieder freigegeben.
»Charlie, ich weiß, das ist für dich gerade schwer zu verstehen, aber ich glaube wirklich, dass das alles ein Missverständnis ist.«
»Hm. Wenn du meinst«, erwidere ich kraftlos.
»Schätzchen, bitte. Lass es jetzt nicht sausen, nur weil es sich gerade miserabel anfühlt.«
»Er hat es sausen lassen. Nicht ich.«
»Charlie! Verdammt! Du weißt doch gar nicht, was da los war. Vielleicht ging es ja um seine Arbeit.«
»Na klar. Tolle Arbeit. Champagner und … ach, vergiss es.«
»Oh Mann, vielleicht war das Kunstszenenquatsch. Was glaubst du, was da los ist?«
»Und wenn schon. Der kann sich seine Kunstszene sonstwo hin…«
Anna nimmt einen tiefen Atemzug, bevor sie es noch einmal versucht.
»Charlie, ich verstehe ja, dass das entsetzlich für dich ausgesehen hat … aber du musst jetzt mit Juan reden!«
»Ich muss gar nichts!«, zische ich Anna an. Durch meine Gedanken geistert das Klingen der Champagnergläser. Ich sehe blond, dann rot. »Auf wessen Seite stehst du eigentlich?! Wieso verteidigst du diesen … diesen blöden Gockel auch noch?!«
Anna sieht mir gelassen dabei zu, wie die Wut mir neue Kraft verleiht und ich nun, wie sie zuvor, im Wohnzimmer hin und her laufe, allerdings viel schneller.
»Weil du ihn liebst. Deshalb verteidige ich ihn. Und er liebt dich, da bin ich sicher. Deshalb. Und weil er morgen nach Barcelona fliegt und du mit ihm gehen wolltest. Deshalb.«
Ich bleibe stehen, Annas Worte hängen in der Mitte des Raumes, genau zwischen uns. Ich sehe sie mir noch einmalan, bevor ich mit meinem Arm aushole und sie mit einem kräftigen Schwung das geöffnete Fenster hinausjage.
Anschließend renne ich in Annas Schlafzimmer, werfe mich aufs Bett und heule leise in die Kissen.
Ich bin froh, dass Anna mich in Ruhe lässt. Reden kann ich jetzt nicht mehr. Aber es ist beruhigend, sie in der Küche und im Wohnzimmer kramen zu hören, so beruhigend, dass ich irgendwann einschlafe und erst am späten Nachmittag wieder aufwache. Sofort ist das dumpfe Gefühl in meinem Magen wieder da.
Immer wieder spule ich alles in meinem Kopf ab. Das rote Kostüm, den perlenden Champagner, die letzten Tage mit Juan, unsere erste Begegnung am Alten Museum, die Tage davor. Die Tage davor. Meine Flucht von der Feier. Alexander. Bei ihm war ich sicher. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Klar, es war nicht annähernd so aufregend. Aber wer will schon diese ganze bescheuerte Aufregung, wenn sie am Ende doch nur so verdammt wehtut?
Ich wälze mich auf dem Bett hin und her, der Gedanke an Alexander lässt mich nicht mehr los. Ob er wohl
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