Sommergayflüster
anderer Tätowierer am Werk war.“
„Das leuchtet mir ein.“
Ich schwieg und hoffte, einen guten Tätowierer ausgesucht zu haben. Rein äußerlich hatte mir der junge Künstler schon beim ersten Gespräch gefallen. Jetzt lief eine Träne an meiner Wange herab. Ich ignorierte sie und starrte Lorenz an. Die blauen Äderchen auf seinem Unterarm traten hervor, die dunklen Haare modellierten die angespannten Muskeln. Als hätte die Prozedur meine Nerven empfindlich gemacht, konnte ich plötzlich seinen Atem auf meinem nackten Oberkörper fühlen. Warm und sanft. Sein Rasierwasser hatte einen leicht blumigen Duft. Ich konnte nichts dafür, ich schwöre – meine Brustwarzen zogen sich zusammen und wurden hart.
Das war bestimmt der Schmerz, dachte ich.
Wieder setzte er ab und strich sich mit der freien Hand durch das Haar. Das hätte ich auch gern getan, solche Ringellocken sah man nicht allzu oft bei einem Mann. Sie machten aus ihm einen Engel, schlank, muskulös.
„Möchtest du etwas trinken?“
„Nein.“ Ich wollte nur, dass es schnell vorbei war. „Mach weiter.“
Lorenz schaute auf mich, sein Blick streifte langsam meinen Körper. Und ich gelobe, ich konnte nichts dafür – mein Glied regte sich. Dabei wusste ich gar nicht, ob es für meinen besten Freund etwas zu tun geben würde. Lorenz war schwer einzuschätzen, er hatte sich im Griff. Er konnte schwul, aber auch hetero sein. Ich wandte den Kopf ab, betrachtete die gerahmten Bilder an der weißen Wand, die unzähligen Fotos und die Muster, die an einer großen Pinnwand pappten. Da spürte ich seine Hand auf meiner Brust. Ich schluckte und vermied es, zu tief zu atmen. Es wäre peinlich gewesen und doch so schön, durch die vergrößerte Fläche der Haut noch mehr von seiner Hand spüren zu können. „Mach ruhig weiter.“
„Wie du möchtest.“ Die Hand verschwand und mit ihr die Wärme. Für volle zehn Minuten schwiegen wir uns an. Lorenz zauberte die Umrisse der Blüten, gleich konnte er mit den Ranken beginnen. Ob er mich für ein Weichei hielt, weil ich ein Blumenmuster gewählt hatte?
Dabei hatte die Lilie eine tiefere Bedeutung. Sie stand für Schönheit, Licht und Unschuld. Und für Tod. Diese Ambivalenz hatte es mir angetan. Wenn ich sie trug, würde ich vielleicht für die kommenden, zwangsläufigen Schicksalsschläge gewappnet sein. Sie würde mir helfen, auf dem Boden zu bleiben. Ich fand, ein florales Tattoo stand einem Baumdoktor gut an. Schließlich war ich vor drei Wochen dem Tod von der Schüppe gesprungen und gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Der Karabinerhaken meiner Kletterausrüstung hatte seinen Geist aufgegeben, und ich war nur durch die Zweige meines Baum-Patienten aufgefangen worden, der Gott sei Dank noch nicht im Sterben lag.
„Fragst du deine Kunden nicht nach dem Motiv für ...“ Ich brach ab.
„...für das Motiv?“ setzte Lorenz fort. „Nein.“
Klar, er hatte bestimmt schon jede erdenkliche Story gehört. Da war meine Geschichte nichts Neues.
In der nächsten Pause trank Lorenz einen Schluck Mineralwasser. Er bot mir ganz unkonventionell die Flasche an, und dieses Mal lehnte ich nicht ab. Ich nahm sie ihm aus der Hand, berührte seine Finger ein wenig länger als nötig. Als ich trank, spürte ich seine Blicke auf meiner Kehle. Ich legte mich wieder hin, wie zufällig streifte ich seinen Oberarm. Seine Hand folgte der meinen, wir fassten uns an, die Finger verschränkten sich. Er beugte sich über mich und küsste meine Brust, leicht wie die Berührung eines Schmetterlings. Im Reflex packte ich seinen Hinterkopf, drückte seine Lippen erneut an meinen Körper. Seine Zunge war rau wie die eines Hundes. Ich stöhnte, als sie meine Brustwarze erreichte, und lockerte meinen Griff. Es sollte nicht den Anschein haben, als wollte ich ihn zu etwas zwingen. Er schaute mich an, sein Blick war nicht zu deuten, und nahm die Nadel zur Hand.
„Nicht, dass du jetzt eine zittrige Hand hast“, versuchte ich zu grinsen.
„Ich bin Profi.“ Er fuhr mit der nadelbewährten Hand über meine Stirn, zog eine imaginäre Spur über meine Augenbrauen, meine Nase und meine Lippen, als wollte er mein Gesicht ausmessen.
„Du willst ja wohl nicht mein edles Antlitz verunstalten“, fragte ich vorsichtshalber. Dieser Mann jagte mir einen Schauder über den Rücken.
„Nein, das ist perfekt. Ich empfinde nur stärker, wenn ich es mit der Nadel anvisiere.“
Ich nickte. „Bist mit deinem Gerät verwachsen.“
Da
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