Sommergayflüster
mittelgroßes Boot im Wasser, dessen Innenraum soeben beladen wurde. Er kannte den Mann, der diese Arbeit verrichtete. Sein Name war Rio Paares. Der Mitfünfziger war für die Vorräte und die Kontrollgänge rund um Green Island, wie Sandros Eltern einst die Insel genannt hatten, zuständig. Er erledigte alles im Handumdrehen und sorgte während Sandros Abwesenheit für Ordnung.
Sandro!
Auf einmal pochte Raffaels Herz schneller. Erneut fragte er sich, ob dieser auf der Insel bereits auf ihn wartete. Aber Rio Paares würde ihn mit Sicherheit nicht mitnehmen. Deshalb hatte er schon lange zuvor einen Plan geschmiedet, den es galt, heute umzusetzen. Er wollte sich auf das Boot schmuggeln. Also wartete er geduldig ab, bis Paares um die Ecke verschwunden war. Höchstwahrscheinlich holte dieser gerade die letzten Pakete des nahegelegenen Lieferanten ab. Diesen Moment musste er ausnutzen. Blitzschnell sah er sich um, um sicherzugehen, von niemandem beobachtet zu werden, ehe er von der Anlagestelle auf das Boot sprang. Beinahe hätte er dabei das Gleichgewicht verloren, fing sich aber im letzten Augenblick wieder und eilte zur Kabinentür, die nach unten in den Bauchraum führte. Schnell und dennoch vorsichtig, stieg er die schmale Treppe hinab. Als er schließlich unten stand, blickte er sich im Frachtraum um. Er war bis oben hin mit Kisten und Kartons vollgestopft, die für Green Island bestimmt waren. Raffael fragte sich, wozu Sandro den ganzen Krempel benötigte. Luxus war etwas, was er nie kennengelernt hatte, auch nicht, als seine Eltern noch den Betrieb geführt hatten. Für Sandro indessen war es mit Sicherheit normal, viel zu besitzen, da dieser wohlbetucht und verwöhnt aufgewachsen war. Dabei hätte er sich auch in ihn verliebt, wäre dieser arm wie eine Kirchenmaus gewesen. Insgeheim hätte er sich das auch gewünscht, denn es hätte vermutlich vieles leichter gemacht – er hätte ihn zum Beispiel nie belügen müssen.
Raffael seufzte leise und besann sich. Er musste sich schleunigst ein Versteck für die Überfahrt suchen. Erneut sah er sich um und wurde prompt fündig. Hinter hoch gestapelten Kisten entdeckte er einen freien Platz. Hastig schob er die Fracht etwas dichter zusammen und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden. Paares konnte jede Minute zurückkommen. Raffael blieb nur zu hoffen, dass dieser ihn nicht entdeckte, sonst hätte er ein großes Problem. Nervös blieb er sitzen, wagte es nicht, sich zu rühren, sondern harrte aus.
***
Verträumt blickte Sandro durch die Glaswand auf das Meer hinab, dessen unterschiedliche Blaustufen die Tiefe bestimmten. Hier, auf Green Island, war alles so ruhig und friedlich. Doch es könnte noch paradiesischer sein – mit Raffael an seiner Seite. Unruhig sah er auf die Uhr an seinem Handgelenk. Es war bereits Mittag, und er war hundemüde. Während des mehrstündigen Fluges hatte er kein Auge zugetan, er war einfach zu aufgeregt gewesen. Und nun stand er hier und wartete und wartete. Sandro seufzte. Vermutlich war es das Beste, sich ein Weilchen hinzulegen, um danach, so hoffte er, wieder klar denken zu können. Er ging zum Bett, zog sich bis zur Pants aus und legte sich rücklings hin. Stumm blickte er den aus Holz verschnörkelten Kleiderschrank an, als sein Kopfkino erneut losging. Höchstwahrscheinlich war es keine gute Idee gewesen, hierherzukommen. Die Meeresluft und der Geruch, der allgegenwärtig in der Luft lag, erinnerten ihn noch mehr an seine Liebe von damals, was ihm fast das Herz brach. Er schloss seine Augen und versuchte in den Schlaf zu finden.
***
Raffaels Herz machte einen Satz, als er die unverschlossene Haustür öffnete. Er konnte es noch immer nicht glauben, dass es ihm gelungen war, Rio Paares auszutricksen. Der Mann befand sich noch irgendwo auf Green Island, wo, war ihm allerdings egal. Die Hauptsache war, dass er sicher hier angekommen war.
Raffael atmete tief durch. Er war sehr nervös, da er nicht wusste, ob Sandro sein Versprechen halten würde. Auf der anderen Seite hatte er neben seiner Verliebtheit auch Angst vor einem erneuten Treffen mit diesem, denn er hatte Sandro nicht die Wahrheit gesagt. Er hatte ihm vorenthalten, wer er war und weshalb er sich von ihm losgesagt hatte. Ob er das jemals würde wiedergutmachen können?
Langsam begab er sich ins Innere des Hauses. Alles roch nach Urlaub, Liebe und nach ... Sandro! Es war der typische Geruch von Aftershave, das er schon damals getragen hatte und das nun
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