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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Richtungen: Sie ist allein nach Hause gefahren. Sie hat sich verlaufen. Sie hat sich den Knöchel verstaucht. Sie ist bis zur Straße gegangen und hatte einen Autounfall. Sie hat einen Sonnenstich und liegt ohnmächtig im Wald. Sie ist von Sand verschüttet worden. Sie ist im See ertrunken. Sie ist überfallen worden. Sie ist tot.
    Ich durfte nicht ohne sie nach Hause kommen! Ich sollte auf sie achtgeben, mich um sie kümmern. Ich hatte es versprochen.
     
    Noch einmal hasteten wir den Sandberg hinauf. Meine Beine taten weh von der Anstrengung. Noch einmal durchstreiften wir das Kiefernwäldchen, Rüdiger und ich auf der einen, Steffi und Jonas auf der anderen Seite des Trampelpfads. Jetzt schrie ich ihren Namen so laut und angstvoll, dass Rüdiger mich schon beruhigen und zurückhalten musste.
    Als wir das erste Donnergrollen in unserer Nähe hörten, stießen wir wieder zu Steffi und Jonas. Der schlug vor: »Wir müssen zu den Rädern! Vielleicht wartet sie dort auf uns!«
    Aber auch dort war sie nicht. Die Räder und das Mofa lehnten noch genauso am Zaun, wie wir sie verlassen hatten. Es fand sich auch kein Zettel, keine mit einem Stock in den Sandboden geschriebene Nachricht. Beim Anblick der Räder schossen mir Tränen in die Augen:Gemeinsam sollten wir jetzt eigentlich zurückfahren, ich auf meinem Rad, Ginie auf Papas Mountainbike. Wir sollten gute Laune haben und miteinander wetten, ob wir die Häuser noch vor Beginn des Unwetters erreichen würden.
    Wie konnten wir denn jetzt allein zu Hause ankommen? Das vierte Fahrrad zurückzulassen hieß im Grunde, Ginie aufzugeben.
    Da hörten wir Stimmen, Jonas machte: »Scht!«, aber wir hätten auch ohne seine Aufforderung den Atem angehalten, horchend, hoffend, dass Ginie dabei wäre.
    Sie war es nicht, nur die Jugendlichen mit dem roten Schwimmdrachen. Laut redend kamen sie auf dem Trampelpfad heran, wollten an uns vorbei.
    »Hey, stoppt mal, habt ihr ein Mädchen gesehen?«, sprach Jonas sie an. »Wir vermissen unsere Freundin!«
    Die Gruppe blieb irritiert stehen   – sonnenverbrannte, sandige Gesichter wie unsere.
    »Was? Wir haben keine gesehen.«
    »Eine schlanke Sechzehnjährige in Shorts und rotem T-Shirt !«
    »Nö.«
    »Mit kurzen schwarzen Haaren!«
    Achselzucken, fragende Blicke. »Nicht drauf geachtet.«
    »Mit einem Piercing!«
    »Niemanden gesehen.«
    »Hübsch?«, fragte einer der Jungs grinsend.
    »Lass den Blödsinn! Das ist kein Spaß!«
    Die Jugendlichen schienen zu überlegen. Über unseren Köpfen donnerte es.
    »Mit blonden Locken und so ’nem bulligen Typen mit ’ner Luftmatratze?«, fragte ein Mädchen.
    »Nein, mit schwarzen Haaren!«, beharrte ich wütend und sagte zu Steffi: »Mit dem Pärchen meinen sie bestimmt Alexa und Florian.«
    »Die haben sich nämlich gestritten! Er war voll beleidigt und hat sie sitzen lassen!«, erzählte das Mädchen, aber Jonas rief dazwischen: »Das ist uns egal! Habt ihr sonst was gesehen oder nicht?«
    »Nein! Ist denn was passiert? War sie im Wasser oder . . .«
    »Sie musste mal in die Büsche! Sie ist allein in den Wald gegangen und seit eineinhalb Stunden weg!«, sagte ich.
    »Fast zweieinhalb«, korrigierte Steffi leise.
    »Puh.« Die Jugendlichen begriffen jetzt, dass wir uns ernsthaft Sorgen machten, sie guckten bedröppelt, konnten uns aber nicht helfen. Sie wären an der anderen Seeseite gewesen, sagten sie. Einmal sei ein Hubschrauber über sie weggeflogen. Ob die Polizei schon Bescheid wisse?
    »Noch nicht«, sagte Jonas.
    Noch. Noch wussten ja nicht einmal meine Eltern Bescheid, geschweige denn mein Onkel.
    Ein anderes Mal habe einer von ihnen einen Schrei gehört. Der könne aber auch von einem spielenden Kind gewesen sein, das von einem anderen mit Wasser bespritzt worden sei. Oder von dem Mädchen, das sich mit seinem Liebsten in der Wolle hatte. Auf jeden Fall »harmlos«, hätten sie gedacht. Hier werde schon nichts passieren.
    Jetzt bekamen sie Zweifel. Die Mädchen sahen sich um. Eine sagte: »Ich hab ja immer gewusst, dass es mit diesen perversen Spannern nicht gut geht! Aber auf mich hört ja keiner!«
    Die andere trippelte nervös auf und ab, sah auf ihre Uhr, drängte: »Los, kommt, ich hab keinen Bock mehr, hier rumzustehen, außerdem fängt’s gleich an zu regnen und wir verpassen den Bus!«
    Wir ließen sie gehen, blieben bei den Rädern zurück, erschöpft schweigend und insgeheim voller Neid: Die da fuhren jetzt heim, duschten, schalteten die Vorabendserien im Fernsehen an,

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