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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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aßen mit ihren Familien, legten die Füße hoch, checkten ihre SMS, telefonierten mit Freunden, vermissten nichts und niemanden. Später würden sie in den Nachrichten von dem verschwundenen Mädchen hören und einen Schauer aus Furcht und Sensationslust spüren, während sie weiter mit der einen Hand in die Chipstüte griffen und mit der anderen das Telefon hielten, an dem vielleicht gerade ihre zu Hause auf der Couch liegende, lachende Cousine sprach.
    Die ersten dicken Tropfen platschten auf unsere bloßen Arme.
    »Ruf bei euch zu Hause an, frag, ob sie da ist.« Jonas’ Stimme klang hart, er reichte mir sein Handy, wich meinem Blick aus.
    »Ja, vielleicht ist sie längst zu Hause und wir frieren hier«, sagte Rüdiger. Tatsächlich hatte nicht nur er, sondern auch ich eine Gänsehaut, ich hatte es bisher nicht einmal gemerkt.
    Ich wählte. Es klingelte endlos lange. Dann meldete sich mein Vater.
    »Papa, ich bin’s, Annika.«
    »Ja, wo bleibt ihr denn? Es gibt gleich Regen!«
    »Ist Ginie bei euch?« Jetzt war ihr Verschwinden offiziell.
    »Ginie ist doch mit euch weggefahren! Annika?   – Annika! Kannst du mich hören? Ach, diese verdammten Handys! Annika!« Die Stimme meines Vaters wurde ärgerlich, er glaubte, die Verbindung sei unterbrochen, er rief meinen Namen, aber ich schaffte es nicht zu antworten, die Tränen schossen mir in die Augen.
    Jonas nahm mir das Telefon aus der Hand und sagte so gelassen und deutlich, wie ich es in diesem Moment nie gekonnt hätte: »Herr Senkel, wir haben ein Problem. Ginie ist verschwunden.«
    Die Antwort meines Vaters hörte ich nicht. Ich stand mit einem Arm an einen Baumstamm gestützt ein paar Meter entfernt. Nur mit halbem Ohr hörte ich Jonas die Fragen meines Vaters beantworten. »Ja, am See. Natürlich, wir haben alles abgesucht. Vor etwa zweieinhalb Stunden.«
    Dann schwiegen wir wieder.
    »Wir sollen hier warten, hat dein Vater gesagt.« Jonas machte ein hilfloses Gesicht. Er wirkte verändert: ernster, älter, das Unbekümmerte von vorhin war völlig verloren. Jonas wirkte wie ein Filmheld, den man zuerst als engelhaften Jüngling kennenlernt und der dann nach einem Zeitraffer plötzlich ein erwachsener Mann mit Falten, Sorgen und Erfahrungen ist. Langsam, so als habe er einen steifen Hals, legte er den Kopf in den Nacken und sagte: »Jetzt geht der Regen richtig los.«
    Und der kam wie auf Kommando. Ein Blitz am Himmel,ein letzter warnender Donner über unseren Köpfen, dann prasselten die Tropfen mit Wucht auf uns herab. Steffi flüchtete unter die herabhängenden Zweige einer Kiefer, Jonas und Rüdiger folgten ihr, zerrten mich mit, nahmen mich in die Mitte und hielten die Wolldecke mit dem grünen Kleeblatt wie einen Schutzschild über unsere Köpfe.
    »Vielleicht kommt sie ja jetzt«, sagte Rüdiger. »Wenn sie sich irgendwo versteckt hat, dann will sie bei Regen vielleicht doch nach Hause.«
    »Warum sollte sie sich denn verstecken?«, rief ich erstaunt. Die schnell durchweichte Wolldecke war kein guter Regenschutz, sie wurde schwerer und schwerer. Auch die trockene Erde zu meinen Füßen konnte mit den Wassermassen nicht fertigwerden, der Regen versickerte nicht, sondern schwemmte in unsere Schuhe, umspülte sie mit lehmig braunem Matsch.
    »Ihr ist etwas passiert. Ich weiß es. Wir müssen weitersuchen!«, jammerte ich. »Wir dürfen hier nicht rumstehen! Wir müssen ihr helfen!«
    »Wir warten!«, entschied Jonas und ergriff mit einer Hand meinen Arm, wobei er die Decke loslassen musste, deren muffiger Stoff mir direkt ins Gesicht fiel. »Deine Eltern sind gleich hier, dann sehen wir weiter . . .«
    »Keine Angst, Annika, alles wird sich aufklären, Annika, alles wird wieder gut, keine Angst«, murmelte Rüdiger und streichelte meinen Arm.
    »Und wenn nicht?« Ich stieß einen Schluchzer aus, der die anderen ermutigte, noch näher zu rücken, und Rüdigers Litanei verstummen ließ.
     
    Der silberne Kombi meines Vaters war voll brauner Spritzer, die Reifen drehten im Matsch durch. Ich konnte mich nicht erinnern, das Auto meines Vaters jemals so dreckig gesehen zu haben.
    Wie in Zeitlupe lief ich auf den Wagen zu. Schlamm spritzte an meinen Beinen hoch. Der Regen durchweichte im Nu meine Kleidung. Ich erreichte die Motorhaube. Der Scheibenwischer blieb mitten in der Bewegung stehen. Das Duftbäumchen am Innenspiegel pendelte langsam hin und her. Der Ausdruck in den Augen meines Vaters sagte alles: Jetzt ist etwas passiert, das nicht rückgängig zu

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