Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
Buntscheckigkeit unserer Landkommune ein zeitsymptomatischer Modellfall war. Von dieser zweiten Gruppe kamen die Vorschläge nun wie Fieberstöße.
»Der Weidenhof als postideologisches Gegenmodell zum moralischen Pathos der früheren Kommunen und Land- WG s«, sagte Konrad.
»Das Kind von ›Einer Ist Keiner‹ nicht mit dem Bade ausschütten«, sagte ich. »Wochenendweise Befreiung aus dem Kleinfamiliendasein, ja. Totalitärer Kollektivismus, nein.«
Olli hatte auch noch einen: »Endgültiges Zusammenwachsen des Hippietums mit einem bürgerlichen Element. Was ja auch in der typischen Anrede ›wertes Kollektiv‹ zum Ausdruck kommt, mit der hier gerne die E-Mails eröffnet werden.«
»Warum nicht gleich: der Weidenhof, das Modell für eine neue Weltordnung?«, regte Fabian an.
Andine war inzwischen vom Baden zurück, setzte sich noch tropfend an den Plenumstisch und höhnte: »Ich hätte auch einen Vorschlag: Der Weidenhof als Urzelle der Generation Brombeer – die nicht quietschig halb Bunten.«
»Neue Generationen proklamieren ist immer gut«, lobte ich.
Mette versuchte noch mal, uns Bodenhaftung zurückzugeben: »Als wäre weltanschauliche Zerfaserung heute noch was Besonderes. Wir sind doch auch nur wie alle anderen.«
Jörg inhalierte tief und sprach mit einer Wolke von Tabakrauch einen Satz aus, an dem es endgültig nichts mehr zu kritteln gab: »Aber wenigstens haben wir eine Landkommune gegründet.«
Steve baute einen, um uns alle mal ein bisschen runterzuholen. Bei mir erzielte er den gegenteiligen Effekt.
»Einen hab ich noch: der Weidenhof als Neuauflage der Artussage. Jeder Ritter der Tafelrunde musste sich seinen eigenen Weg durch den Wald suchen, um den Heiligen Gral als Symbol der letzten Weisheit zu finden. Passt doch zu uns. Kaffeekannen sind der neue Gral. Wäre endlich mal wieder eine große Erzählung statt immer nur Anekdoten.«
»Für eine große Erzählung bräuchte man aber noch einen guten Feind«, feixte Konrad.
EIN FEIND, EIN GUTER FEIND
Die weiten Hügel jenseits des Maltriner Sees sahen nicht nur aus wie der Bildschirmhintergrund eines Bürocomputers. Irgendjemand hatte dieses Motiv inzwischen auch auf unseren Gemeinschaftslaptop im oberen Arbeitszimmer geladen.
Wenn man so wollte, joggte ich deshalb gerade durch den Desktop-Hintergrund unseres Landhauscomputers. An diesem heißen Sonntagvormittag im August kam mir mein Atem selbst ungewöhnlich laut vor. Das Hecheln durchschnitt eine Stille, die mir vorkam wie unter einer Käseglocke oder als ob da vom morgendlichen Kopfsprung in den See noch Wasser in meinen Ohren war. Die leicht bedrückte Stimmung mochte aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die Felder hier im Osten des Ostens ausgesprochen groß waren, und daran liegen, dass Ausdauer beim Laufen eine ganze Menge mit Psychologie zu tun hat.
Mein Kopf gab auch beim Joggen, wo er eigentlich nicht groß gebraucht wurde, selten Ruhe, und so begann ich, an einer Faustformel für Läufer herumzubasteln. Das Gefühl des Joggenden, vom Fleck zu kommen, verhält sich umgekehrt proportional zu der Weite der Landschaft, durch die er seine träge Biomasse hindurch trägt. Das Gefühl, nicht voranzukommen, hat dagegen einen negativen Rückkopplungseffekt auf die Motivation und mentale Stärke des Läufers. Im Falle der nördlichen Uckermark, deren entgrenzte Weite ein Gefühl für den Begriff »eurasische Landmasse« gab, konnte das Laufen zur Marter werden. Speziell bei schwirrender Hitze kurz vor Mittag an einem Sonntag im August.
Stoisch lief ich den endlosen Feldweg in Richtung Bürzow weiter, während meine Gedanken in Richtung unseres alten Wochenenddomizils in Zechlin an der Rheinsberger Seenplatte wanderten. Dort fand man eine ausgesprochen lauschige Naturlandschaft mit vielen großen und kleinen Seen, Wäldern und abwechslungsreichen Joggingpfaden vor. Die nördliche Uckermark hingegen war eine ausgedehnte, in weiten Endmoränen geschwungene Agrarfläche, die die Augen des Betrachters nicht alle hundert Meter mit einem neuen Reiz kitzelte, ihnen dafür aber Freiraum gab. Ich erinnerte mich an den geschmacksverirrten Zechliner Chefbungalow und daran, dass es uns dort noch sehr auf die reizvolle Landschaft drum herum angekommen war, wohingegen sich in Maltrin das Leben auf den immer mehr herausgeputzten Weidenhof und den wunderbaren See davor konzentrierte. Mir fielen Ollis beschwörende Worte aus der Zeit des Einzugs wieder ein, dass nämlich die Umgebung unserer
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