Sommerhaus mit Swimmingpool
über den Beckenrand, wenn er mit lautem Schrei hineinsprang. Ich beobachtete diesen ersten Kopfsprung immer mit einem besonderen Interesse. Sozusagen aus medizinischer Sicht. Vor zwanzig Jahren wurde noch eindringlich davor gewarnt, mit vollem Magen ins Wasser zu gehen. Diese Ansicht gilt inzwischen als überholt. Man sollte gerade nach dem Essen nicht zu lange warten. Die Verdauung kommt erst nach einer Stunde so richtig in Gang. Dann besteht durchaus Gefahr. Das Blut strömt zum Magen und Darm. Das Gehirn ist weniger aktiv, der Denkprozess verlangsamt sich und kommt schließlich ganz zum Erliegen. Auch andere Körperteile erhalten zu wenig Blut, zu wenig Sauerstoff. Die Beine haben mit Sauerstoffmangel zu kämpfen und keine Kraft mehr. Die Arme fangen an zu prickeln und werden taub. Wer sich während der Verdauung im Meer aufhält, läuft Gefahr, zum Spielball der Wellen zu werden und von den tückischen Strömungen auf die offene See hinausgetrieben zu werden. Doch kurz nach einer Mahlzeit besteht wenig Grund zur Sorge. Der Magen ist voll, gewiss, und das ist nicht ganz ohne Risiko. Gerichte mit geschmolzenem Käse können im Nu gerinnen. Der Käse kühlt sich zu schnell ab und wird zu einem harten Klumpen. Der Magenpförtner schließt sich. Die Abfuhr zum Darm verstopft. Soßen können ins Rollen kommen, wie Öl im Raum eines Riesentankers. Der Tanker gerät in einen furchtbaren Sturm und zerschellt an einem Riff. Die Soßen schwappen gegen die Magenwand und steigen durch die Speiseröhre nach oben. Der Schwimmer droht an seinemeigenen Erbrochenen zu ersticken. Noch einmal streckt er den Arm aus dem Wasser und ruft um Hilfe, doch am Strand ist niemand, der ihn sieht, niemand, der ihn hören kann. Er versinkt in den Wellen und wird erst Tage, oft sogar erst Wochen später an einem anderen, mehrere Kilometer entfernten Strand angeschwemmt.
Wenn Ralph ins Wasser sprang, rechnete ich jedes Mal damit, dass er nicht mehr auftauchte. Oder dass er mit seinem benebelten Kopf gegen den Beckenboden knallen und den Rest seines Lebens vom Hals abwärts gelähmt bleiben würde. Doch er kam jedes Mal prustend und röchelnd wieder hoch und hievte sich über die kleine Treppe auf den Beckenrand. Dann breitete er das Handtuch auf dem Liegestuhl aus und ließ sich von der Sonne trocknen. Er bedeckte sich nie. Er lag da, die Beine gespreizt, wegen seiner Körpergröße hingen die Füße über den Rand des Stuhls: Alles war unverhüllt der Sonne zugewandt. »Wenn das kein Urlaub ist«, sagte er, rülpste und schloss die Augen. Eine Minute später schnarchte er mit offenem Mund. Ich betrachtete seinen Bauch und seine Beine, seinen Schwanz, der seitlich auf einem Oberschenkel lag. Und Julia und Lisa. Sie schienen keinerlei Anstoß zu nehmen. Sie balgten sich im Swimmingpool, spielten Fangen mit Alex und Thomas oder tauchten nach Münzen, die Caroline ins Wasser geworfen hatte. Ich fragte mich, ob ich vielleicht doch ein Spießer war. Ob es an mir lag, dass ich Ralph Meiers nackten Schwanz in nächster Nähe meiner jungen Töchter unangenehm fand. Ich kam zu keinem eindeutigen Ergebnis, und solange ich zu keinem eindeutigen Ergebnis kam, fand ich es unangenehm. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, an dem ein Klempner vom Vermietbüro kam. Der Wasserdruck war gesunken, abends kamen nur noch Tropfen aus der Dusche. Ohne sich eine Hose anzuziehen oder ein Handtuch um die Hüfte zu wickeln, ging Ralph auf den Mann zu und schüttelte ihm die Hand. Ich sah den Mann gucken beziehungsweise nicht gucken. Er war mindestens zwei Köpfe kleiner als Ralph, weniger als dreißig Zentimeter trennten seinen Kopf von dem zwischen Ralphs Beinen baumelnden Schwanz, er brauchte seinen Blick nur einige Millimeter zu senken, damit dieser sein ganzes Gesichtsfeld füllte. Ralph schlüpfte in seine Slipper und ging vor dem Mann die Treppe hinauf. Sie verschwanden im Haus, und als sie eine knappe Viertelstunde später wieder herauskamen, hatte sich Ralph noch immer keine Hose angezogen oder wenigstens ein Handtuch umgebunden. »Es ist der Wassertank auf dem Dach«, sagte er. »Er ist verstopft. Außerdem hat es kaum geregnet.«
Am nächsten Morgen kam überhaupt kein Wasser mehr aus der Dusche. Auch die Wasserhähne und die Dusche beim Swimmingpool waren versiegt.
Ralph griff fluchend zum Handy. »Wir bezahlen hier verdammt noch mal ein Vermögen, dann können die auch dafür sorgen, dass alles funktioniert. Regen hin oder her.« Doch im Vermietbüro ging
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