Sommerhaus mit Swimmingpool
Lachen. Das Lachen der Mütter, die sich über die ewige Ungeschicklichkeit der Söhne lustig machen. Ralph inspizierte mit schmerzverzogenem Gesicht sein Knie und schüttelte den Kopf. Dann tat er das Einzige, was man in solchen Situationen tun kann: Er stimmte in das Gelächterein. In das Gelächter seiner Söhne. In das meiner Töchter. Er lachte über sich selbst. Wenigstens sah es so aus, als würde er über sich selbst lachen, als wäre er zu Selbstironie in der Lage. In Wirklichkeit lachte er natürlich, um das Gesicht zu wahren. Den Schaden zu begrenzen. Ein erwachsener Mann, der unsanft auf dem Hintern landet, ist lächerlich. Einer, der darüber lachen kann, schon viel weniger.
»Scheiße«, sagte Ralph lachend, während er sich mühsam aufrappelte. »Ihr seid mir vielleicht eine Bande! Einen alten Mann auslachen, das ist doch wirklich …«
Und dann passierte es. Es war ein Detail, mehr nicht. Ein Detail, auf das man nicht achtet. Das erst später Bedeutung gewinnt. Im Nachhinein.
Ralph Meier hievte sich hoch, noch immer lachend. Aber es war kein echtes Lachen mehr – wenn es das überhaupt je gewesen war. »Und du am allermeisten, nimm dich in Acht!«, sagte er. Er richtete sich drohend auf und zeigte mit dem Finger auf meine Tochter. Auf Julia.
Julia stieß einen kleinen Schrei aus. »Nein!«, rief sie. »Nein!«
Und sie griff mit beiden Händen nach ihrem roten Höschen. Ihrem Bikinihöschen.
Ich sah es ganz deutlich. Es gab nur eine Erklärung. Ralph Meier drohte meiner Tochter mit etwas, was er schon einmal getan hatte. Zum Spaß, versteht sich. Trotzdem …
Es war, wie gesagt, nur ein unscheinbares Detail. Man sieht etwas und verdrängt es sofort wieder. Besser gesagt: Etwas in einem drängt es in den Hintergrund. Man will das nicht denken. Man will nicht hinter allem etwas Schlimmes vermuten. Jahrelang hat man einen Nachbarn. Einen netten Nachbarn. Einen sympathischen Nachbarn. Einen normalen Nachbarn. Und das sagt man dem Kriminalkommissar auch, der einen um Auskünfte bittet. »So normal«, sagt man. »So sympathisch. Nein, mir ist nichts Besonderes an ihm aufgefallen.« Im Haus des Nachbarn hat man menschliche Überreste gefunden,die aller Wahrscheinlichkeit nach von vierzehn vermissten Frauen stammen. In der Kühltruhe. Im Garten. Und dann erinnert man sich plötzlich an etwas. Das unwichtige Detail. Wie der Nachbar Müllsäcke zum Auto trug und in den Kofferraum legte. Nicht nach Sonnenuntergang oder zu einem anderen »verdächtigen« Zeitpunkt. Nein, am helllichten Tag. Er hat sich dabei auch nicht schreckhaft umgesehen. Er tat es ganz offen und für jeden sichtbar. Er winkte grüßend mit der Hand. Oder knüpfte ein Gespräch an. Über das Wetter. Über die neuen Bewohner, die auf der anderen Straßenseite eingezogen waren. Ein normaler Mann. »Eben fällt Ihnen etwas ein«, sagt der Kommissar. Und dann erwähnt man die Müllsäcke.
Julias Reaktion konnte nichts anderes bedeuten, als dass Ralph Meier schon einmal versucht hatte, ihr das Höschen herunterzuziehen. Bei einem Spiel, im Pool … Ich hatte in dem Moment nicht besonders darauf geachtet, aber jetzt fragte ich mich, warum ich darüber so rasch hinweggesehen hatte.
»Du denkst doch an etwas«, sagte Caroline.
Ich sah meiner Frau in die Augen.
»Ja, an das, was du gerade gesagt hast. Über Emmanuelle und Ralph. Und Julia.«
Wie hätte wohl Emmanuelle reagiert, wenn Ralph ihr Bikinihöschen heruntergezogen hätte? Oder Stanley? Wieder blinzelte ich, aber die schwarzen Flecken blieben.
»Du musst es doch wissen«, sagte Caroline, »du bist der Mann. Wie betrachtest du deine Tochter? Siehst du in ihr manchmal die Frau, die sie einmal sein wird?«
Ich fand die Frage, die Caroline mir gestellt hatte, nicht seltsam. Überhaupt nicht. Es war die einzige richtige Frage, die man stellen konnte.
»Ja«, sagte ich. »Nicht nur bei Julia. Auch bei Lisa.«
Ein Mann hat zwei Töchter. Von Kindheit an sitzen sie auf seinem Schoß. Sie schlingen ihre Arme um seinen Hals undgeben ihm einen Gutenachtkuss. Sonntagmorgens kriechen sie zu ihm ins Bett und schmiegen sich an ihn. Es sind kleine Mädchen. Es sind seine kleinen Mädchen. Er beschützt sie. Er sieht sie zu Frauen heranwachsen. Aber nie schaut er sie so an, wie ein Mann eine Frau anschaut. Nie. Ich bin Arzt. Ich weiß, was mit Inzesttätern zu geschehen hat. Es gibt nur eine Lösung. Und die kommt in einem Rechtsstaat nicht infrage. Obwohl sie die einzige Lösung ist.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher