Sommerhit: Roman (German Edition)
mindestens wir beide, und das sind zwei zu viel.« Sie hatte gelächelt und sich dann auf die oberste Liege der Sauna gelegt. Später, nach einer eiskalten Dusche, sagte sie dann verblüffend offen: »Ich hätte mir nie verziehen, es nicht wenigstens versucht zu haben. Freunde?«
»Freunde«, bestätigte ich, und das waren wir bis heute, obwohl wir künstlerisch längst wieder getrennte Wege gingen, von den drei, vier Songs abgesehen, die ich im Halbjahresrhythmus für sie schrieb.
Ich erwachte vom Telefonklingeln. Es war Chrissie. »Halb sieben, Martin. Es geht los.«
Mein Haus, mein Auto, mein Boot
Das Mätressenschloss verfügte über eine Art Ballsaal, einen großen, weiß getünchten, sehr hohen Raum mit holzbewehrter Galerie, in dem ein paar Tische aufgestellt waren für die Klassenkameraden »nebst Anhang«, wie es in der Einladung hieß, schließlich gehörten wir alle einer Altersgruppe an, die sogar schon zwei Nachwuchsgenerationen absolut zuließ. Als ich durch die doppelflügelige Pforte trat, fiel mein Blick zuerst auf die Bühne am Kopfende des Raums, hinter der ein Transparent mit der Aufschrift »Martin-Gropius-Gymnasium, Klasse von 1984« hing, darunter eine Leinwand für die unvermeidlichen PowerPoint-Präsentationen und ein Computerprojektor, ein Beamer. Außerdem standen dort zwei Mikrophone in Ständern, eines davon in Bauchhöhe – mein Gitarrenmikro. Am Rand der Bühne war ein Mischpult mit Laptop aufgebaut. Es lief irgendein Achtzigerjahre-Sampler, aber leise. »Self Control« von Laura Branigan begann soeben.
Direkt hinter der Eingangstür hatte man einen längsstehenden Tisch aufgestellt, auf dem laminierte Namensschilder bereitlagen, aber nicht mehr sehr viele, darunter meines, wie ich augenblicklich feststellte, das für Falk Lutter. Hinter diesem Tisch hockte Tie-Äjtsch-Sabine, die Sabine von den
Sabines drei
, die mich angerufen hatte. Ich erkannte sie nur, weil ich sie an dieser Position erwartet hätte – und weil ihre Haare immer noch rot waren, allerdings etwas unglücklich coloriert. Sabine stellte das weibliche Pendant zu Gerry dar: Ihr Gesicht hatte jegliche Kontur verloren, wogegen auch das dick aufgetragene Make-up nicht half. Es gibt also Gesichts-Cellulite, dachte ich. Dazu ein Mund, dem man ansah, dass er nur ausnahmsweiselächelte, und ein Doppelkinn, das nahtlos in einen Hals überging, der zu einem Dekolleté führte, das man besser nicht in dieser Offenherzigkeit präsentiert hätte. Sie trug ein paillettenbesetztes »Sex And The City«-Shirt mit weitem V-Ausschnitt. Sabines Leidenschaft, hatten mir Györgys Recherchen verraten, bestand aus einer Online-Singlebörse, deren männliche Mitglieder sie seit fast acht Jahren unaufhörlich malträtierte. Das Foto, das ihr dortiges Profil zierte, stammte aus dem vorigen Jahrtausend, sie versprach, eine »agile Mittdreißigerin« zu sein, und verschwieg außerdem die drei Kinder, die sie seit der zehn Jahre zurückliegenden Trennung von ihrem Ehemann (den Ring trug sie heute allerdings) alleine erzog.
Sie glotzte erst und strahlte dann, sprang auf und stieß dabei fast den Tisch um, so dass die Namensschilder klapperten. Wie Gerry streckte sie mir sofort die rechte Hand entgegen.
»Martin Gold! Es stimmt also wirklich! Ist ja der
to-tale
Wahnsinn!«
Ich schüttelte die Hand höflich und sah zur Seite, wo sich meine ehemaligen Mitschüler nebst Anhängen in kleinen Gruppen eher leise unterhielten. Ein Dutzend Jugendliche saßen an einem Tisch etwas abseits und starrten einander misstrauisch an, wenn sie nicht auf ihren Nintendos oder Telefonen herumtackerten. Die Hälfte von ihnen trug Kopfhörer. Die Kleidungsauswahl an diesem Tisch wurde von Kapuzenjacken, Trainingshosen oder übergroßen, dunklen Jeans zu
Sneakers
beherrscht.
Der große Raum schien zu summen wie eine voll aufgedrehte Konzertbeschallungsanlage, an die keine Quellen angeschlossen waren – leise, aber bedrohlich. Die Anspannung spürte ich schon am Empfangstisch.
»Wenn Sie möchten, stelle ich Ihnen die Leute vor«, schlug Sabine vor. Ich zwinkerte ihr zu und machte mich an denGrüppchen vorbei auf den Weg zur Bühne, um meine Gitarre abzustellen. Es gelang mir, dort anzukommen, ohne großes Aufsehen zu erregen. Als ich mich unterwegs kurz umsah, stand die rothaarige Sabine zwei Schritte von ihrem Empfangstisch entfernt und erwiderte meinen Blick, unsicher grinsend. Wahrscheinlich dachte sie darüber nach, ob und wie sie meine Ankunft
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