Sommerhit: Roman (German Edition)
und ich hoffte, vor Stolz und Rührung.
Nachdem die beiden in Manfreds dunkelblauen, nagelneuen Audi gestiegen waren, wärmte ich die Bohneneintopfreste vom Vorabend mit dem Gaskocher auf, las danach noch ein bisschen in meinem Buch, aber hauptsächlich war ich damit beschäftigt, auf die Uhr zu schauen. Ich würde in eine Disco gehen, in eine richtige Disco, und vielleicht würde ich ein Bier trinken, was für ein irrsinniger Gedanke. Zwei durfte ich ja, außerdem würde ich mit Karen tanzen und der Musik lauschen und Menschen beobachten, mir die Gerüche merken und darauf hoffen, dass all das niemals endete.
Um halb acht zwängte ich mich in meine dunkelblaue »Marmor«-Jeans und zog dazu das weiße Hemd an. Erst stopfte ich es in die Hose, aber als ich im stinkenden Waschhaus stand und meine Zähne bürstete, durchzuckte mich ein Impuls, und ich zog das Hemd wieder aus dem Hosenbund. Ich trat zwei Schritte zurück und betrachtete mich im milchigen, stark verschmutzten Spiegel. Ja. Das war vielleicht noch nicht
cool
, und es verdeckte auch nicht ganz die drei, vier Kilo, die ich nach Karens Meinung zu viel hatte, aber mit den drei geöffneten Knöpfen und den zweimal umgeschlagenen Manschetten sah ich, wie ich fand, erstens mindestens zwei Jahre älter und zweitens tatsächlich wie jemand aus, der gleich zur, nein,
in die
Disco gehen würde.
Als es erst fünf und dann zehn nach acht wurde, ohne dass auf dem asphaltierten Weg vor unseren Zelten jemand auftauchte, begann ich zu glauben, dass Karen mich vorgeführt hatte, dass all das nur ein Scherz war, den die Westdeutschen sich mit mir Ostdeutschem erlaubten, und ich war verwirrt und unsicher und fassungslos und kurz davor, in ein tiefesLoch zu fallen. Aber bevor das geschah, hüpfte das Mädchen in mein Blickfeld, Karen in einem weißen Baumwollkleid, wozu sie ihre weißen Badelatschen trug, was aber keinesfalls unpassend wirkte, sondern absolut richtig, und während sie auf den Hacken tanzte, rief sie: »Na, mein kleiner Ostler, bereit für ein bisschen Party?« Es dauerte keine Zehntelsekunde, und ich war bereit wofür auch immer. So stand ich vor Karen, die ich um vielleicht fünf Zentimeter überragte. Sie machte einen Schritt zurück, sah mich von oben bis unten an, und danach wieder von unten bis oben, wobei ihr Kopf erst langsam nickte, und dann etwas schneller, bis sie sagte: »Du hast ja richtig Stil.«
Ich lächelte und schnupperte.
»Und du trägst ein Parfüm.«
Sie zwinkerte und vollführte abermals ein paar Tanzschritte.
»Nur für dich«, sagte sie dann.
In den Jahren, nachdem meine musikalische Laufbahn so richtig durchgestartet war, habe ich viele Discos gesehen, außerdem Tanzschuppen, Clubs, Erlebnisgastronomieeinrichtungen, Après-Ski-Läden, Open-Air-Areale, Theater, Kleinstbühnen, Arenen und Konzerthallen, aber das Gefühl, das mich übermannte, als wir die kleine, eigentlich lieblos ausgestattete, in unmittelbarer Strandnähe am Uferweg zwischen unserem Ort (Zamárdi, meine ich) und Siófok gelegene Discothek betraten, hat sich nie wieder eingestellt. In mir toste es. Die Luft war erfüllt von Rauch und dem Schweiß vieler Menschen, obwohl noch längst nicht wirklich etwas los war, aber die Beleuchtung der Tanzfläche – letztlich eine simple Lichtorgel, die ein Dutzend Spots steuerte –, die riesengroßen Boxen, die vielen Menschen und die herumhuschenden, durch die Bank überaus hübschen ungarischen Kellnerinnen schlugen mich sofort in den Bann. Die anderen saßen an einem Tisch, vor sich Cola, bis aufTobi, der aus einer der kleinen »Balatoni«-Flaschen trank. Bevor wir uns setzen konnten, stand Tobi auf, legte mir die Hände auf die Schultern und musterte mich dabei so ähnlich wie Karen zuvor.
»Cool«, sagte er dann.
Ich lächelte, obwohl etwas in mir widersprechen wollte, denn ich fühlte mich nicht kühl oder lässig. Es ging mir nicht darum, die anderen zu beeindrucken oder Anschluss zu suchen, sie nachzuäffen oder zu vertuschen, dass es Unterschiede zwischen uns gab. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich dieses Gefühl spürte, und es war großartig. Ich legte meinerseits die Hände auf Tobis Schultern, betrachtete das schwarze T-Shirt, das er trug und auf das in weißer Schrift ein englischsprachiges Wort gedruckt war, danach seine hellblauen Jeans, deren Knie faserige Löcher aufwiesen, und anschließend seine hellbraunen Stoffsandalen, die er ohne Socken trug. Ich nickte und lächelte ihn an.
»Du
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