Sommerhit: Roman (German Edition)
Männerlachen, dasKlirren von Flaschen, das Zirpen der Reißverschlüsse und der
Insekten auf den Wiesen.
»Nein«, krächzte ich, räusperte mich und wiederholte dann, etwas lauter, aber immer noch sehr leise: »Nein.«
Dann geschah nichts für eine Minute.
»Willst du mich nicht reinlassen?«, fragte die Stimme.
Eine Gänsehaut flutete meine Körperoberfläche, ich schob mich zum Fußende meiner Matte und knüpperte an den Schnüren herum, bis sich nach einer Ewigkeit der Schlitz öffnete. Karen saß im Schneidersitz vor meinem Zelt und lächelte seltsam. Dann ging sie auf die Knie und schob sich an mir vorbei in meine kleine Höhle.
»Leise«, zischte sie in der Vorbeibewegung in mein Ohr. Die Gänsehaut verstärkte sich. Mit zitternden Fingern verschloss ich den Eingang. Karen lag ausgestreckt auf meiner Matte.
»Das war ein schöner Abend«, sagte sie und zog mich zu sich.
Republikflucht (1980)
Wir schliefen nicht miteinander in dieser Nacht, aber wir küssten uns stundenlang, bis das Licht der Dämmerung in meine Behausung drang und die Zeltplatzlaternen verloschen. In den Kusspausen redeten wir, aber dieser Teil der Veranstaltung ging beinahe komplett an mir vorbei, weil sich ein Mädchenkörper gegen meinen Jungenkörper drängte und auch nicht zurückwich, als ich ihn an Stellen streichelte, die ich bis dato noch nicht einmal unbekleidet gesehen hatte. Als Karen aus dem Zelt kroch, blieb ich wach, bis die ersten Geräusche von Leuten zu hören waren, die zu den Waschräumen gingen und Kaffeewasser holten. Da fiel ich in einen kurzen Schlaf, erwachte erstaunlich erfrischt und krabbelte aus meiner Stoffhöhle, um das Frühstück für uns vorzubereiten. Aus dem Zelt meiner Eltern drang Geflüster, dann kam mein Vater, der zerrupft und verschlafen aussah, legte mir kurz die Hand auf die Schulter und stieg ins Auto. Ich trabte dem knatternden PKW hinterher, um vom Kiosk am Platzeingang Brötchen zu holen. Dabei vollführte ich Tanzbewegungen, die ich in der Nacht gelernt hatte, und es war mir in meiner sommerjugendlichen Verliebtheit vollkommen egal, was die wenigen Leute, die im feuchten Morgendunst vor ihren Zelten und Wohnwagen saßen, von mir dachten.
Wir mussten über eine Stunde mit dem Frühstück warten, bis der 601 wieder vor unseren Zelten hielt. Papas Gesicht war versteinert, Mama und er sahen sich nur schweigend an, und selbst in meinem Zustand war für mich zu erkennen, dass etwas in ihnen vorging, das über Erschütterung weit hinausreichte. Anschließend, während wir unsere Brötchen aßen undich wieder Kaffee trinken durfte, mühten sie sich damit ab, diesen Eindruck zu entkräften. Doch es misslang ihnen gründlich. Sonja war also immer noch nicht bei Tante Cordi eingetroffen. Als ich direkt nach ihr fragte, schüttelte mein Vater nur langsam den Kopf. Nach dem Frühstück stiegen meine Eltern ins Auto, wortlos, aber der Wagen hielt in zehn Meter Entfernung wieder an, und ich beobachtete minutenlang, wie sich die beiden unterhielten. Durch die Heckscheibe sah ich Mamas Kopf schließlich auf Papas Schulter sinken, und dort blieb er noch fast eine Viertelstunde. Dann fuhren sie davon.
Ich ging mit dem Frühstücksgeschirr zu den Waschräumen, wo viele Menschen anstanden, um sich die Zähne zu putzen oder, wie ich, den Abwasch zu machen. Es war laut und voller Gestank, ich fühlte mich endlos einsam, trotz des vorangegangenen Abends, und wünschte mir nichts sehnlicher, als sofort nach Hause zu fahren, um bei Sonja zu sein, im Garten
Atze
-Comics zu lesen, auf Russisch Briefe an Kolja zu schreiben und auf das Reifen der Boskops in Herrn Leders Garten zu warten.
In dieser Stimmung traf ich Karen, die an unserem Klapptisch saß und in einer bunten Zeitschrift blätterte, die BRAVO hieß. Sie sprang auf, umarmte und küsste mich mit einer Selbstverständlichkeit, die mich fassungslos machte, dann schob sie mich von sich und sah mich an.
»Ist irgendwas?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wirklich nicht? Habe ich was falsch gemacht?«
Da musste ich kurz grinsen, griff nach ihrer Hand.
»Nein. Es ist nur …«
Und dann brach ich in Tränen aus. Anschließend erzählte ich ihr, was passiert war. Karen schlug die Hand vor den Mund, als ich von den Geschehnissen am Grenzübergang berichtete. In diesem Moment kehrten meine Eltern zurück.
Sie wirkten ruhiger und entspannter als am Morgen, aber da war deutlich etwas, das sie zu unterdrücken versuchten. Karen kniff die Augen zusammen und
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