Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
Bächen zu verwandeln, und es wurde sekündlich dunkler.
    Buchen sollst du suchen, Eichen sollst du weichen, das kam mir in den Sinn. Waren das hier Buchen oder Eichen? Und stimmte das überhaupt?
    Für Sekundenbruchteile wurde es taghell, und gleich darauf krachte es so laut wie noch nie in meinem Leben. Aus dem Krachen wurde ein Knirschen, ein ächzendes Geräusch von Holz, mit dem etwas geschah, dickem, schwerem Holz, das fürchterlichen Kräften ausgesetzt wurde. Ein gewaltiger Schatten neigte sich nur zehn Meter vor mir über den Weg.
    Jemand packte mich an der Schulter, zog mich in die Hocke. Herr Bonker. Sein Gesicht war kaum zu erkennen. War das ein Lächeln? Vielleicht waren es auch nur Angst und Entsetzen. Er hatte eine nicht durchsichtige Plaste-, verdammt,
Plastik folie
dabei, zog sie über unsere Köpfe, und dann saß ich in einem winzigen Zelt, in dem es laut knatterte, geduckt auf dem matschigen Boden, neben dem Lehrer, der heftig atmete, nach schwerem Schweiß und Ekel und Sex roch, aber dessen Gesicht ich glücklicherweise nicht sehen konnte. Er sagte nichts, hatte seine Hand wieder von meiner Schulter genommen, eine Erinnerung, die mich erschauern ließ – es wardie rechte gewesen, jene Hand, mit der er sich gerade selbst befriedigt hatte –, hielt mit der einen das Dach aus Folie über uns fest und mit der anderen, wie ich auch, die Seite am Boden.
    Es dauerte zehn Minuten, die zu den längsten zehn meines Lebens gehörten, Platz zwei hinter der Zeit in der Sitzbank des Wohnmobils, das uns über die ungarisch-österreichische Grenze gebracht hatte. Aus dem Keuchen von Herrn Bonker wurde nach und nach ein ruhigeres Atmen, dann schnaufte er nur noch ab und zu, blieb aber still. Ich war ihm einerseits sehr dankbar, und andererseits war ich in einer Weise angewidert, die ich nicht hätte in Worte fassen können. Ich konnte einfach nicht aufhören, daran zu denken, wie dieser Mann sich vor weniger als einer Stunde vor meinen badenden Mitschülerinnen einen abgewichst hatte.
    Als der Regen aufgehört hatte, zog er die Plane von uns und richtete sich auf.
    »Vorbei«, sagte er und lächelte, aber etwas hatte sich geändert an seinem Lächeln.
    Ich wusste, dass das nicht stimmte, aber ich nickte trotzdem.
    »Danke«, sagte ich.
    »Bitte«, sagte Herr Bonker.
    Ich spürte, dass die Möglichkeit bestand, diesen merkwürdigen Mann in eine infantile Danke-Bitte-Danke-Endlosschleife zu manövrieren. Stattdessen legte ich, einem seltsamen Impuls folgend, meine Handkante an die Stirn, nickte ihm kurz zu und ging dann los in die Richtung, in der ich die Herberge vermutete. Herr Bonker blieb stehen und sah mir stumm nach, wartete offenbar ab, bis auch er sich auf den Weg machen konnte, um nicht gleichzeitig mit mir anzukommen.

Mord (1983)
     
    Bis zum Frühstück hatte die Nachricht immer noch nicht die Runde gemacht. Ich gehörte zu den wenigen, die an dieser Mahlzeit teilnahmen, von Frau Erdt war zu hören, dass sie krank sei, aber Herr Bonker saß im Anzug und mit Fliege bei uns und belegte Brote nach Systemen, die kein anderer Mensch kapierte. Sein Gesicht blieb dabei ausdruckslos, bis auf diese Ahnung von einem Lächeln, das immer da war und dem nur ich ansah, dass es trotzdem anders war als sonst.
    Es stank erbärmlich. Um zwei Uhr morgens hatte ich zuletzt auf die Uhr gesehen, da war die Party noch im vollen Gange, und bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich vier Mal die »Kommssie, kommssie,
komm ssah
!«-Chöre gehört, jedes Mal lauter, ausgelassener, aggressiver. Vermutlich hatten Bertrand und Françoise in den frühen Morgenstunden damit begonnen, den Raum wieder instand zu setzen, aber auch Hektoliter Reinigungsmittel mit Aprilfrische konnten nicht übertünchen, dass hier ganze Seen von Bier, Wein und sonstigen Alkoholika vergossen worden waren. Hinzu kamen unzählige Zigarettenkippen, Erbrochenes und die Reste all dessen, was Gerry, Henning, Thomas und Konsorten hier sonst noch veranstaltet hatten – in den Holzboden einmassiert von Dutzenden Adidas-, Nike-, Puma- und White-Balance-Sneakers.
    Dann kam Chrissie. Sie sah müde aus, aber als sie uns passierte, suchte sie Blickkontakt mit Herrn Bonker, und als dieser dann zustande kam, lächelte sie ihn auf eine Art an, die ich wirklich nicht erwartet hätte. Der Lehrer reagierte nur kurz, seine Mundwinkel wanderten millimeterweit nach oben, aberfür Christine reichte das offenbar; sie deutete kurz ein Nicken an und orientierte sich zur anderen

Weitere Kostenlose Bücher