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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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waren. Dann lugte plötzlich ein Filzhut mit Gamsbart hinter der Borke hervor. Die Mädchen hatten dieser Uferseiteden Rücken zugekehrt, also bestand für mich die Gefahr, dass sie mich sahen und für einen Spanner hielten. Ich ging hinter einem Busch in die Hocke.
    Sie standen bis zu den Oberschenkeln im Wasser und bespritzten sich gegenseitig. Etwas blitzte auf. Herr Bonker hatte das Fernglas vors Gesicht genommen.
    Und er tat noch etwas, mit der anderen Hand. Erst begriff ich es nicht, weil es aussah, als würde er versuchen, ein hartnäckiges Insekt abzustreifen, aber als ihm die Lederhose über die Knie glitt, verstand ich. Noch immer das Fernglas in der einen, der linken, Hand, griff er mit der anderen in seinen Schritt und vollführte eine unmissverständliche, rhythmische Bewegung, wobei er immer weiter aus dem Schatten des Baumes herauskam, um bessere Sicht zu haben.
    Ich war so perplex, dass ich mich auf den Hosenboden setzte und beinahe hintenüberfiel. Was war zu tun? Sollte ich irgendwas rufen, um die beiden Mädchen zu warnen? Polternd aus dem Gebüsch kommen, damit alle merkten, dass sie hier nicht alleine waren?
    Doch meine drängende Frage fand ihre Antwort auf ganz andere Art.
    Chrissie hatte sich, um einer Wasserattacke der anderen auszuweichen, zum Ufer gedreht und dabei den onanierenden Lehrer entdeckt. Das Geschrei der Mädchen verstummte schnell, aber Chrissies Arm hing lange in der Luft und wies anklagend auf die Position von Herrn Bonker. Der machte sofort wieder einen Schritt hinter den Baumstamm, und kurz darauf sah ich ihn wegrennen.
    Einige Sekunden blieb es still. Und dann brachen die beiden Mädchen in schallendes Gelächter aus. Sie kreischten und lachten eine ganze Weile, tauchten schließlich ins Wasser ein und schwammen los, in meine Richtung, weshalb auch ich den Rückzug antrat.
     
    Auf dem Weg dachte ich darüber nach, wie ich mit diesem Erlebnis umgehen sollte. Irgendwie war ich mir sicher, dass Herr Bonker letztlich nichts tatsächlich Strafbares getan hatte, aber moralisch verwerflich war es allemal. Dass er versucht hatte, sich vor zwei nackten Schülerinnen einen herunterzuholen, würde ihn mindestens seine Karriere kosten, wenn das herauskäme. Ich fragte mich, wie die übliche Freizeit dieses Mannes wohl aussah. Ich war erschüttert, aber irgendwie auch nicht wirklich überrascht. Ich empfand Mitleid für diese armselige Kreatur, aber auch Scham und diffuse Angst. Dies hier würde, nein,
konnte
nicht folgenlos bleiben.
    Ganz sicher würden Christine und Martina den anderen brühwarm davon erzählen, wenn sie zurück waren, vielleicht hatte diese Nachricht auch schon die Runde gemacht, bevor ich in der Herberge ankommen würde. Und wenn nicht? Sollte ich es für mich behalten? Mit jemandem darüber reden? Mit wem? Den Verlierern aus meinem Zimmer? Christine und Martina? Der verstörten Frau Erdt, von der ich inzwischen annahm, dass sie ihre Lehrerinnenlaufbahn nach dieser Reise beenden würde? Sollte ich Mama anrufen? Oder doch lieber schweigen?
    Da ich unter dichten Baumkronen wanderte, hatte ich kaum wahrgenommen, dass es dunkler geworden war, und schlagartig wurde es so finster, dass ich den Weg vor mir gerade noch erkennen konnte. Ich sah auf die Uhr – nicht mehr der federleichte Aluminiumklotz, den ich vor drei Jahren getragen hatte, sondern eine flache LCD-Uhr von Casio mit Hintergrundbeleuchtung, für die man einen klitzekleinen Knopf drücken musste. Es war noch früh am Nachmittag. Doch dann ertönte ein dumpfes, lang anhaltendes Bollern. Die Luft kühlte ab, es roch nach Wasser und Elektrizität. Verdammt, ein Gewitter.
    Nur drei Minuten später setzte der Regen ein, starker Regen, der sich anhörte, als würde jemand große MengenErbsen auf einen riesigen Plastetisch ausgießen. Bei mir kam das zunächst als sprühende Feuchtigkeit an, aber ich ahnte, dass sich dieser Zustand sehr bald ändern würde. Ich erinnerte mich nicht daran, auf dem Weg hierher einen Unterstand gesehen zu haben. Es krachte, vier, fünf Mal dicht nacheinander, in infernalischer Lautstärke und nicht wirklich weit entfernt. Aus dem Erbsengeräusch wurde ein intensives Prasseln, ein peitschendes, rhythmisches, zischendes Geknalle. Ich beschleunigte meinen Schritt, verfiel in schnelleren Trab, aber nur für fünf Minuten, dann war ich völlig aus der Puste – und patschnass. Es donnerte jetzt im Zehn-Sekunden-Takt, der Weg begann sich in eine spinnennetzartige Struktur aus kleinen

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