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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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ich nie, denn ich war ein Ostler
und
dick
und
schlauer als einige von ihnen. Und es gab einfach keine Alternativen, zumal ich meine arme Mutter wenigstens von einer Front mit ausschließlich guten Nachrichten konfrontieren wollte. Und diese Nachrichten waren wirklich gut: Ich gehörte zu den drei Notenbesten meiner Klasse, damit zu den Top Ten des gesamten Jahrgangs, spielte Rhythmusgitarre im Schulorchester, und der einzige Makel auf meinen Zeugnissen war die regelmäßig wiederkehrende Fünf in Sport, dem Fach mit den Turnschuhen.
Sneakers
.
     
    Statt am gemeinsamen Mittagessen teilzunehmen, das ohnehin nur von einigen wenigen wahrgenommen wurde, während andere versuchten, Alkohol in rauen Mengen heranzuschaffen, die nächstgelegenen Kneipen ausfindig zu machen oder einen neuen üblen Scherz zu planen, ließ ich mir von Bertrandein Fresspaket machen. Ich griff mir eine der Wanderkarten, die völlig ungenutzt, aber für alle bereitlagen, und stapfte davon. Martin fragte, ob er sich mir anschließen könnte, doch ich wollte meine Ruhe. Als ich auf der fußballplatzartigen Wiese stand und mich zu orientieren versuchte, sah ich Herrn Bonker, der nicht weit von mir entfernt genau dasselbe tat. Er hielt eine Karte in den Händen und sah sich um. Sofort schaute ich mich in alle Richtungen um, denn wenn
sie
ihn so gesehen hätten, wäre er wohl gesteinigt worden.
    Er trug eine Art Tracht, eine kurze Lederhose mit Latz nebst kleinem Hirschkopf, ein rot-weiß-kariertes Hemd, gelbschwarze Socken, die über die Knie reichten, Wanderschuhe, einen Filzhut mit Gamsbart und einen Wanderstock, der mit vielen kleinen, metallenen Wappen beschlagen war – Stocknägel nannte man derlei. Auf seinem Rücken hing ein kleiner Lederrucksack, und um seinen Hals baumelten ein Fernglas und ein Fotoapparat. Natürlich lächelte Herr Bonker, und als er zu meiner Überraschung bemerkte, dass ich ihn beobachtete, hob er die rechte Pranke und winkte mir bedächtig zu. Ich nickte und prüfte abermals die Lage. Es war niemand zu sehen. Herr Bonker faltete die Karte sorgfältig zusammen und verstaute sie hinter seinem Latz, dann marschierte er los.
    Ich ging in die andere Richtung.
    In etwa drei Kilometer Entfernung gab es einen kleinen See, und ich beschloss, in einer weiten Kurve in diese Richtung zu gehen, um mich dort vielleicht, sofern er einsam gelegen war, ein wenig abzukühlen und dann den Rückweg anzutreten.
    Schon nach wenigen Metern, nachdem sich der Wald hinter mir geschlossen hatte und die Herberge außer Sicht geraten war, kam mir alles nur noch halb so schlimm vor. Gut, sie würden nicht aufhören, uns zu piesacken, aber mit etwas Glück würden sie ihre Hauptenergie darauf lenken, Feten zufeiern, zu saufen und sehr wahrscheinlich ziemlich viel Sex zu haben, vor allem Leute wie Henning und die beiden anderen Michaels, aber sicher auch Gerry und vielleicht sogar das Rattengesicht Thomas. Wenn sie das ausfüllte, bestand die Möglichkeit, dass dies hier wirklich eine Art Urlaub mit einigen unangenehmen, aber in der Summe vielleicht noch erträglichen Momenten werden könnte.
    Der Weg stieg an, es roch intensiv nach Holz und Laub, leicht nach den Exkrementen der Wildtiere und der fauliglebendigen Aromenmischung, die ein Waldboden verströmt. Ich summte erst und begann dann, ein Lied zu singen, und dann noch eines – Lieder aus meiner DDR-Schulzeit und sogar die »Internationale«, schließlich hörte mich hier niemand, und die Melodie war zum Wandern geeignet.
    Allerdings hatte ich die Strecke ein wenig unterschätzt. Es dauerte fast anderthalb Stunden, während deren ich nicht selten sicher war, mich verlaufen zu haben, bis der Wald sich lichtete und das Wasser des kleinen Sees zwischen den Baumstämmen glitzerte. Gleich darauf hörte ich Stimmen. Mädchengekreisch.
    Auf der anderen Seeseite – eigentlich war es nur ein großer Teich –, in vielleicht vierzig Meter Entfernung, alberten Chrissie und Martina herum, während sie sich, die Köpfe immer wieder in alle Richtungen verdrehend, nackt auszogen und dann vorsichtig ins Wasser gingen. Ich verkniff mir einen Seufzer und wollte mich schon umdrehen, obwohl ich, wie ich mir eingestand, durchaus daran interessiert war, die hübsche Chrissie nackt zu sehen, da entdeckte ich noch etwas.
Jemanden
.
    Erst sah ich nur etwas ungewöhnlich Gelbes kurz am Fuß eines Baumstammes aufleuchten, der sich nicht weit entfernt von der Stelle befand, an der die beiden Mädchen ins Wasser gegangen

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