Sommerhit: Roman (German Edition)
Panik versetzte, denn er passte nicht zu jenen, die mich hier sonst umgaben – Müll, Hundekot, das faulig-holzige Aroma von Bäumen im Winter, der Geruch von feuchtkalter Erde, Haarfärbemittel, süßlicher Gestank aus Inkontinenzbinden –, und er war unheilverkündend: Es roch nach Kakao. Und dafür gab es nur eine vernünftige Erklärung. Thomas war in der Nähe. Vermutlich nicht nur er.
In meinem Nacken kribbelte es, schlagartig wurde mir noch kälter. Ich überlegte, ob ich anhalten oder Fersengeld geben sollte, aber diese Entscheidung wurde mir abgenommen – abhauen wäre ohnehin keine Option gewesen, weil mich schon der leichte Trab an den Rand des Zusammenbruchs brachte.
Plötzlich waren sie über mir, zwei heftig knallende Faustschläge gegen den Kopf hatten mich zu Boden gestreckt. Jemandzog mir eine Wollpudelmütze übers Gesicht, einer setzte sich auf meinen Brustkorb und presste mit seinen Knien meine Arme gegen den Boden. Die Gitarre unter mir zerbrach krachend und trieb mir Holzsplitter in den Rücken, die ich deutlicher spürte als die Folgen der Faustschläge oder den Druck der Knie auf meinen Armen.
Dann geschah einen Moment lang nichts.
»Na, Falk, du fetter Ostler.« Das war Gerry.
»Gerald«, stellte ich ächzend fest.
Er lachte. »Hier ist kein Gerald. Hier ist niemand, den du kennst, du blöde Verrätersau.«
Darauf gab es keine Antwort. Außerdem hatte ich – noch – niemanden verraten. Trotzdem schwieg ich, denn jedes Argument hätte die drei nur noch mehr gereizt.
»Du wirst uns nie beweisen können, dass wir das waren.« Das war Thomas’ Stimme. »Lutz wird jeden Eid schwören, dass wir den ganzen Nachmittag bei ihm verbracht haben. Der gute Lutz kann es sich nämlich nicht leisten, es sich mit uns zu verscherzen.«
Lutz war der Vorname von Herrn Bährmann. Er hatte mich irgendwann vor der Klassenreise gefragt, warum ich nicht mehr mit den anderen zu ihm käme, mit einem leicht weinerlichen Unterton, und mir im Rahmen dieses sehr kurzen Gesprächs das Du angeboten. »Falk, du kannst mich Lutz nennen.« Ich hatte nur den Kopf geschüttelt und war davongegangen.
Der Steg meiner Gitarre bohrte sich in meinen Nacken, ich hatte Erstickungsängste und fror. Etwas in mir wünschte sich, dass sie schnell täten, was auch immer sie vorhatten. Ich nahm an, dass sie mich kräftig verprügeln wollten. Vielleicht würde Hundescheiße, wovon es hier mehr als genug gab, eine Rolle spielen – ihren Hang zu Defäkationsprodukten kannte ich ja bereits aus Frankreich.
Dann griff mir eine Hand unter der Mütze ins Gesicht und presste meine Wangen zusammen. Es war nicht die von Thomas.
»Wir haben dich beobachtet«, sagte Gerry und quetschte dabei meine Nase, von deren Scheidewand ein fieser, stechender Schmerz kam. »Du willst die Fresse aufreißen, du Arschloch. Das können wir nicht zulassen.«
Henning murmelte im Hintergrund etwas, das ich nicht verstand. Ich hörte Reißverschlüsse und das Gekicher von Thomas, was mich ein ganz klein wenig entspannte. Ein Scherz, hoffte ich. Sie hatten etwas Amüsant-Demütigendes mit mir vor, vielleicht würden sie mich ausziehen und nackt durch den Park jagen oder mich eben mit Fäkalien beschmieren.
Die Hand ließ mich los, eine andere zog mir die Mütze vom Kopf, und ich lauschte auf das statische Knistern meiner Haare. Die einzige Beleuchtung kam von einer Straßenlaterne etwa dreißig Meter von uns entfernt, die Gesichter vor mir lagen im Dunkeln, außerdem trugen sie schwarze Pudelmützen. Jetzt roch ich wieder Thomas’ Kakaoaroma, zugleich wehte Gerrys Atem zu mir herunter. Er stank nach Alkohol. Sie hatten sich Mut angetrunken, das hätte sogar jemand mit normalem Geruchssinn bemerkt.
»Autsch!«, rief Henning im Hintergrund. »Scheiße, sind die scharf.«
In diesem Augenblick bekam ich Todesangst.
»Von den anderen Idioten haben wir nichts zu befürchten«, erklärte Gerry jetzt. »Sie sind selbst völlig verängstigt. Schon erstaunlich, dass ausgerechnet ein dummer Ostler, einer aus dem Land der Spitzel und Duckmäuser, plötzlich zum Helden werden will. Du willst doch ein Held sein, oder, du dummer, fetter Ostler?«
Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte die Zeit zurückdrehen, wieder in meinem muffigen Zelt am Plattensee hocken undenergisch mit dem Kopf schütteln, wenn meine Eltern kommen und mir erklären, dass ich sie zu den beiden Wohnmobilen begleiten soll, die vor dem Zeltplatz warten.
Ich schwieg und schloss die
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