Sommerhit: Roman (German Edition)
wie Leute aus Minkas Liga nun mal mit solchen Menschen umspringen. Roadies, Produktionshelfer, Techniker, Friseure, Visagisten, Caterer, Busfahrer, Stewardessen, Zugschaffner, Hotelboys, Taxifahrer oder Kellner. Fortwährend begegneten wir Menschen, auf deren Hilfe wir zwar angewiesen waren, die es, nach Minkas Einschätzung, als ihre Hauptaufgabe zu verstehen schienen, uns Künstlern das ohnehin anstrengende Leben noch schwerer zu machen, und der graue kleine Mann war nun zum Ventil für diesen Frust geworden, gesteigert durch eine programmatische Fehlentscheidung, einen beschissenen Auftritt, drei definitiv unvögelbare männliche Groupies und meine Ankündigung, die in kreativer Hinsicht doch recht produktive Zusammenarbeit nunmehr zu beenden.
»Und warum?«, fragte sie und nippte an einem Tom Collins, der sogar für Nicht-Cocktailtrinker wie mich falsch aussah, ihr aber umso feierlicher vom Barkeeper kredenzt worden war – begleitet, natürlich, von jenen drei Worten: »Sie sind doch …?«
Ich kämpfte einen Gesichtsausdruck herbei, von dem ich hoffte, dass er bei ihr als Lächeln ankam.
»Wir haben viel erreicht.« Ich nahm einen Schluck von meinem Bier. »Du bist jetzt in einer Position, in der du Bedingungen diktieren kannst. Minka ist eine Marke, ein Label, und was immer auch passiert, du wirst einige Jahre davon zehren können. Du könntest es dir leisten, ein oder zwei schlechte Alben abzuliefern.« Sie verzog das Gesicht. »Du kannst eine Weihnachtsplatte einsingen, die sich verkaufen wird. Meinetwegen sogar Dixieland, Heavy Metal oder Volksmusik. Du brauchst mich nicht mehr.«
»Und wenn ich nicht auf dich verzichten will?« Sie prostete mir zu und sah mich dabei auf eine Art an, die ich inzwischen fast vergessen hatte.
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte ich freundlich. »Wir können gerne noch mal miteinander ins Bett gehen, wenn du möchtest, ich habe nichts dagegen. Aber das wird mich nicht davon abbringen, ab jetzt meine eigenen Projekte in den Vordergrund zu stellen.«
Sie kippte ihren Drink in einem Zug herunter und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.
»Gut, gehen wir ins Bett«, sagte sie leichthin, ohne dass letztgültig klar war, wie sie das jetzt meinte. »Aber was ist mit
Minka vier
?« Das war der Arbeitstitel des kommenden Albums.
»Das ist auch mein Baby, ich habe an den acht Songs mitgeschrieben und
alle
arrangiert«, erklärte ich, ohne näher auf den ersten Teil ihrer Rede einzugehen. Ihre Hand ließ ich allerdings, wo sie war. »Wenn du einverstanden bist, beenden wir die Aufnahmen zusammen, aber danach bin ich weg.«
Sie nickte, bestellte noch zwei weitere Runden, und als wir ausgetrunken hatten, gingen wir ins Bett – miteinander, tatsächlich. Später lagen wir nackt auf der Matratze in ihrem Zimmer, tranken Leitungswasser aus Zahnputzbechern, und Minka fragte mich doch tatsächlich nach meinen Plänen, war interessiertdaran zu erfahren, welche Art von Musik ich machen wollte, welche Titel für Alben mir vorschwebten, ob ich schon Kontakte hätte und solche Dinge. Sie war freundlich, fast zuvorkommend, und bot mir sogar ihre Unterstützung an.
Am nächsten Morgen telefonierte ich, wie schon am Tag zuvor, lange mit meinem Vater. Er folgte meiner Bitte, mir bis dahin nur wenig von seiner Geschichte zu erzählen. Ich wollte ihm ins Gesicht sehen können, wenn es so weit war – in etwa drei Wochen, wenn wir in Berlin ankamen und zwei Tage Pause vor dem Abschlusskonzert der Tour hatten. Deshalb erzählte ich viel von mir, wobei er mich immer wieder unterbrach, weil er weinen musste, ein jüngeres Foto seines Sohnes in den Händen, den er – wie Karen – nicht wiedererkannt hätte. Es war seltsam, bewegend und elektrisierend, mit ihm zu sprechen, aber auch irreal – ich besaß natürlich kein aktuelles Bild von ihm und auch kein älteres, denn im äußerst schmalen Gepäck, mit dem Mama und ich aus Ungarn geflüchtet waren, hatte sich keines befunden. Während wir sprachen, dachte ich skurrilerweise an seine merkwürdigen Brustwarzen, und wenn ich versuchte, mir sein Gesicht, seine Haltung, seinen Körperbau ins Gedächtnis zu rufen, sah ich das Bild von einem Mann, von dem ich nicht wusste, ob es sich um meinen Vater handelte.
Er und Luise, die sich während unseres Gesprächs ständig aus dem Hintergrund meldete, mit zaghaften Zwischenrufen oder leise vor Glück weinend, wollten noch am Nachmittag des elften November aufbrechen, um in Onkel Gerhards BMW erst
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