Sommerhit: Roman (German Edition)
Tischnachbarin nach seiner Hand griff und auch ihn auf die Tanzfläche zog. Da grinste er wieder. Er roch ja nicht, was ich roch. Er wusste nicht, was ich wusste.
Beim zweiten Walzer, originellerweise dem Donauwalzer, hielt ich plötzlich Karen im Arm. Mit der linken Hand kniff sie nachgerade in meine Schulter, bohrte die Nägel der anderenin meine Hüfte, meinem Blick aber wich sie aus. Am Ende des Tanzes sagte sie leise: »Bitte bleib bis zum Ende. Ich brauche dich«, wobei sie wieder an mir vorbeisah. Die Flucht war mir also verwehrt.
Gegen halb elf, der DJ spielte Schlager und Bierzeltmusik, wozu nur die Hartgesottensten tanzten, stand plötzlich eine Gitarre neben mir. Manfred, schweißnass im Gesicht, aber strahlend, legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich hab zwei Mikrophone organisiert, die kommen gleich.« Ich rülpste vorsichtig in meine geballte Faust und nickte hilflos. Was blieb mir auch anderes übrig.
Etwa zehn Minuten später wurde ich dann tatsächlich von ihm angesagt und unter allgemeinem Händeklatschen auf die Bühne gerufen. Als ich hinter dem Mikro stand und die Gitarre umgehängt hatte, sah ich zu Karen, ihrem neuen Mann, kurz sogar zu der breitgesichtigen Sofia und schlug dann die ersten Töne an. Heftiger Applaus erklang. Ich setzte aus, wartete das Klatschen ab und begann erneut. Und beim Refrain sang dann fast der gesamte Saal mit:
Wenn du wüsstest, was ich weiß
Wenn du ahntest, was ich ahne
Wenn dir klar wär, was ich sehe
Wenn du fühltest, was ich spüre
Du hättest es nie getan
Und das alles nie riskiert
Lügen sind nie für immer
Nur Wahrheit hat Bestand
Die Welt ist kein kleines Zimmer
Sondern Freiheit ohne Wand
Zum ersten Mal mochte ich diesen Song wirklich. Er war pathetisch, gefühlsduselig, aber in diesem Augenblick erreichte er mich, und ich verstand, was die Leute daran mochten. Auch einfache Wahrheiten sind Wahrheiten, und nicht alles muss authentisch sein, solange es ehrlich ist.
Die Hochzeitsgäste spendeten mir stehend Beifall, und sie riefen nicht »Zugabe! Zugabe!«, sondern »Noch einmal, noch einmal«. Sie meinten Minkas Hit. Also tat ich ihnen den Gefallen. Es falsifizierte alles, was ich am Mittag von mir gegeben hatte, und das störte mich nicht einmal. Ich war in absoluter Scheißegalstimmung, vermischt mit dem dringenden Wunsch, das Beamen zu beherrschen.
Als ich irgendwann dann doch in meinem Hotelzimmer ankam, blinkte die Anrufbeantworterlampe hektisch. Es war vielleicht zwei Uhr morgens, aber die letzte Nachricht der Redakteurin war keine fünf Minuten alt. Ich rief sie zurück, zehn Minuten später lag sie bei mir.
Wiedervereinigung (1995)
Ich arbeitete mit Mike und György an meiner dritten Platte. »Blick in den Spiegel« war im Spätsommer 1993 erschienen und lief ordentlich, zog die Verkäufe von »Klasse« abermals hoch. Während das Cover meines ersten Soloalbums ein leeres Klassenzimmer gezeigt hatte, einziges Accessoire war eine aufgeklappte, ebenfalls leere Aktentasche auf dem Lehrerpult, befand sich jetzt mein Porträt auf der dunkelblauen, fast schwarzen Hülle dieser Scheibe. Im Halbdunkel meine leuchtend blauen Augen stark hervorgehoben, mit einer leichten Spiegelung, so als ob ich bei den Aufnahmen in einen Spiegel geblickt hätte. Was nicht stimmte, es handelte sich um eine geschickte Montage – wer meine Iris mit der Lupe betrachtete, sah darin abermals das Titelbild. Das Cover und die anschließende Konzertreise brachten mir den Beinamen »Der Musiker, der nie lächelt« ein.
Die Läden, die ich auf der Tour Anfang 1994 bespielt hatte, waren manchmal schon kleine Hallen, hin und wieder war ein Abend sogar ausverkauft. Mit zwei Alben in der Hinterhand konnte ich praktisch alle veröffentlichten Stücke an einem Abend spielen, die Konzerte gingen nicht selten zweieinhalb Stunden oder länger, und manchmal musste ich von den Musikern daran gehindert werden, doch noch einmal auf die Bühne zurückzukehren, nach der vierten Zugabe. Das war enorm anstrengend, aber noch viel beglückender, und Mike, der als zweite Gitarre mit uns unterwegs war, lobte regelmäßig meine stetig wachsende Sicherheit auf der Bühne. Manchmal schaffte ich es sogar, ganz ohne Stottern oder Pausen der Rührung zwischen den Songs die Geschichten zu den Liedern zu erzählen.
Das bist gerade wirklich du, sagte ich mir immer wieder. Sie sind deinetwegen hier. Ein Teil von mir konnte das nach wie vor nicht glauben, und der andere
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