Sommerhit: Roman (German Edition)
rief pausenlos: Genieß es, du Trottel! Du hast es verdient.
Vermutlich haben viele Menschen, die mit ihrer Kunst an die Öffentlichkeit gehen und so langsam erfolgreicher werden, dieses Gefühl, diese Angst, plötzlich könne jemand kommen, der den fatalen Irrtum aufklärt und die versteckten Kameras enttarnt. Es war seltsam, dass dieser Effekt bei mir erst jetzt eintrat. Mit jedem Artikel in der Presse, und es wurden deutlich mehr, mit jedem Interview, jedem Feature, jedem Auftritt in Radio oder Fernsehen verband ich die leise, zum Glück nur hintergründige Befürchtung, mein Gesprächspartner würde fragen, warum ich eigentlich der Meinung sei, das Recht zu haben, auf einer Bühne zu stehen oder Platten zu besingen. Ich hätte die Antwort schuldig bleiben müssen.
Minkas fünfte Scheibe war kurz nach »Blick in den Spiegel« auf den Markt gekommen, hieß schlicht »Fünf«, und diese dumme Steilvorlage nutzten viele Kritiker. Ich zählte nicht mit, stieß aber auf eine ganze Menge Verrisse, die den Albumtitel früher oder später als Schulnote verwendeten – »Setzen, sechs« lautete die Überschrift einer Drei-Zeilen-Kritik im
Musikjournal
. »Ich würde gerne mehr über das Album schreiben«, führte der Kritiker aus, »aber mir fällt nichts ein – außer: Versetzung gefährdet.«
Die Platte stieg nur sehr kurz in die Charts ein und fiel auch sofort wieder raus. Es war
Musac
. Belanglos, ohne Botschaft, ohne Höhepunkte, textlich eine Katastrophe, musikalisch reiner Dilettantismus, ein Abgesang im Wortsinn – aber immerhin recht gut produziert. Erstaunlich, dass die Plattenfirma keinen Rückzieher gemacht hatte. Selbst Schlagerfans sind nicht so hartgesotten.
Mein nächstes Soloprojekt würde ein Doppelalbum werden. PBC würde die anstehende Tour mitschneiden und eine Liveplatte herausbringen. Die Veranstalter buchten Hallen. Keine riesigen, aber dennoch Hallen. Man hatte mich gefragt, ob ich mir eine Vorgruppe wünschte, einen
Supporting Act
– und wen. Mit Minkas ersten zwei Alben hatten
wir
als Vorgruppe gespielt, einmal sogar bei Christian Prinz, einem abgehalfterten, gelifteten Schlagerstar aus den Siebzigern, der inzwischen ein Toupet trug, hinter der Bühne soff und kokste, als würde er Mengenrabatt bekommen, und seine zwanzig Jahre alten Texte, die eigentlich jedes Kind mitsingen konnte, von einem Teleprompter ablesen musste, in riesigen Lettern, denn der knapp sechzig Jahre alte Mann, der alles versuchte, um wie Anfang vierzig auszusehen, konnte sonst nichts mehr erkennen. Mit Prinz gab es richtig Ärger, weil das steinalte Publikum
uns
feierte und anschließend ihn ausbuhte, wenn er ein Stück eine Oktave tiefer ansetzte oder ganze Strophen leise neben das Mikrophon krächzte, um den Hintergrundsängern und dem Bläsersatz die Hauptarbeit zu überlassen. Unser Auftritt wurde schließlich von knapp vierzig auf zwanzig Minuten gekürzt, und im Backstage-Bereich herrschte damals Eiseskälte.
Vorgruppe
ist in etwa so schrecklich wie mit einem bis auf die Brust heraushängenden Popel in der U-Bahn zu sitzen, ohne vom Popel zu wissen, während man versucht, mit dem hübschen Mädchen gegenüber zu flirten. Letztlich bot ich Mike an, ein paar Stücke von sich zu spielen, aber er forderte Bedenkzeit, weil er eigentlich kein Interesse mehr an einer Solokarriere hatte.
Im September schlug meine Mutter vor, meinen dreißigsten und ihren fünfzigsten Geburtstag gemeinsam zu feiern, im engen Kreis, nur Freunde und Familie, vielleicht irgendwo im Brandenburgischen, wo es inzwischen tatsächlich ein paarhübsche Hotels gab. Ich fand die Idee nett, war aber in Sorge, weil meine Mutter vielleicht hoffte, auf diesem Weg an Sonja heranzukommen, was meiner Einschätzung nach zum Scheitern verurteilt war. Sie verweigerte nach wie vor jeglichen Kontakt. Ich traf meine Schwester und ihren schweigsamen, rührend anhänglichen Sohn sooft ich nur konnte, aber sie wollte weder über meine Eltern sprechen noch mit ihnen. Trotzdem buchte ich auch für sie eines der Dutzend Zimmer, die ich in der »Alten Wäscherei« ausgerechnet im Spreewald reservierte, einem noblen Hotel mit Sterne-Restaurants und riesiger Saunalandschaft, das zu den ersten gehört hatte, die sich mit dem idiotischen Kofferwort »Wellness« schmückten. Ich lud Mike, György und auch Karen nebst Mann ein.
»Ich komme vielleicht alleine«, sagte sie dann aber am Telefon. Es war erst das zweite Mal in diesem Jahr, dass wir miteinander
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