Sommerkind
wird.”
“Oh Grace, wie schrecklich.”
“Am Anfang dieses Sommers rief Bonnie mich an und sagte, sie hätte herausgefunden, dass Rory Taylor in seiner Sendung 'True Life Stories' über dieses Baby berichten will. Dass er aufdecken will, wie es damals an den Strand kam.”
“Also hast du ihn kontaktiert und ihm gesagt, dass du glaubst, die Mutter zu sein?”
“
Nein”
, entgegnete Grace; der Gedanke schüttelte sie. “Das habe ich mich nicht getraut. Ich … habe ein 'zufälliges' Treffen mit ihm arrangiert, um herauszufinden, was er weiß. Und dabei habe ich erfahren, dass … das Baby damals nicht gestorben ist. Ein kleines Mädchen hatte es gefunden, und ihre Familie hat es adoptiert. Jetzt lebt das Mädchen … die junge Frau im Haus gegenüber von Rory Taylor. Sie lebt dort mit ihrer Schwester. Von den Ereignissen jener Nacht hat sie einen Hirnschaden davongetragen. Nur einen leichten, aber sie braucht jemanden, der ein bisschen auf sie achtet. Ihre Schwester hat diese Aufgabe bislang anscheinend sehr gut gemeistert.”
Eddie stand auf und begann auf und ab zu gehen. Das tat er immer, wenn ihn etwas beschäftigte. “Das ist unfassbar”, sagte er. “Wer weiß, dass diese junge Frau deine Tochter ist? Hast du sie mal getroffen? Mit ihr gesprochen? Hast du erzählt …”
Sie hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. “Ich weiß nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, dass sie meine Tochter ist. Es klingt verrückt, dass die Krankenschwester sie inmitten einer Sturmnacht zum Strand gebracht haben soll, aber …”
“Was glaubst du, wie viele Babys in jener Nacht in Kill Devil Hills zur Welt gekommen sind?”, fragte Eddie.
“Ich weiß, ich weiß, ja. Aber ich kann es ihr einfach nicht sagen, Eddie. Was ist, wenn ich mich irre?”
“Sieht sie dir ähnlich?”
“Eigentlich nicht. Sie ist ziemlich blond, doch das war ihr Vater auch.” Sie sprach das Wort “Vater” so aus, als hinterließe es einen faden Geschmack auf ihrer Zunge. “Aber sie ist groß und schlank, so wie ich. So wie Pamela. Und sie hat Krampfanfälle, Eddie.”
“Marfan.”
“Das befürchte ich, ja. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, ist sie jetzt auch noch schwanger. Sie ist schwanger; sie weiß nicht, dass sie das Marfan-Syndrom hat; ihr Kind hat es vielleicht auch; es bleibt vielleicht unbemerkt, und …”
“Quäl dich nicht so.” Eddie hatte sich wieder neben sie gesetzt und hielt ihre Hand. Er streichelte ihre Wange. “Ich wünschte, du hättest mir eher erzählt, was dich schon den ganzen Sommer lang beschäftigt. Ich wäre für dich da gewesen, Grace.”
“Ich weiß. Aber ich war viel zu wütend auf dich.”
“Ich habe Pamela auch geliebt, weißt du?”
“Das weiß ich. Genauso sehr wie ich. Und du wusstest nicht, dass sie krank war, ebenso wenig wie ich. Sie liebte das Fliegen – das kann ich nicht leugnen. Möglicherweise hast du sie stärker dazu ermuntert, als mir lieb war, aber es war ihre Entscheidung. Du hast es ihr nur ermöglicht.”
Eddie senkte den Kopf, und sie wusste, dass er um Fassung rang. “Danke, dass du das gesagt hast.” Er lehnte sich zurück. “Die junge Frau, wie heißt sie?”
“Shelly.”
“Shelly. Wenn du wirklich glaubst, dass Shelly deine Tochter ist, und wenn sie und ihr ungeborenes Kind in … Gefahr sind, dann musst du es ihr sagen, oder wenigstens ihrer Schwester, damit man sie untersuchen und behandeln kann. Das ist deine Pflicht, Grace.”
“Aber was, wenn sie
nicht
meine Tochter ist? Sie ist ziemlich sensibel. Ich will sie nicht unnötig verwirren.”
“Hat Shelly einen herzförmigen Haaransatz?”
Grace schüttelte den Kopf.
“Aber haben nicht alle Frauen in deiner Familie einen?”
“Die meisten, aber nicht alle.”
“Hast du je versucht, die Krankenschwester ausfindig zu machen? Sie scheint das fehlende Puzzleteil zu sein.”
“Es ist unmöglich, sie zu finden. Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass sie Nancy heißt und vor zweiundzwanzig Jahren in einem Krankenhaus in Elizabeth City auf der onkologischen Station gearbeitet hat. Das ist nicht gerade viel.” Plötzlich wurde Grace von der Hoffnungslosigkeit ihrer Situation überwältigt. “Ich habe die … Freundschaft mit Rory Taylor ausgenutzt, um in Shellys Nähe zu sein. Ich kann es kaum glauben, aber ich habe es wirklich getan. Doch jetzt ist er mit Shellys Schwester zusammen, und ich habe keinen Grund mehr hinzufahren. Ich will Shelly wiedersehen. Sie fehlt mir schon
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