Sommerkind
lieber wieder rüber. Zeit, mich weiteren unverschämten Fragen meines halbwüchsigen Sohnes über mein Liebesleben zu stellen.”
Er setzte sich auf die Bettkante und zog sich an. Daria fuhr mit der Hand über die warme Kuhle im Bett, die sein Körper hinterlassen hatte.
Das Lagerfeuer. Das Ende des Sommers.
“Rory?”
“M-hm.”
“Ich habe dir diese Frage bisher nicht gestellt, weil ich Angst vor der Antwort habe. Aber wann genau fährst du zurück nach Kalifornien?”
Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu und zögerte kurz. Dann sagte er: “Lass uns nicht jetzt darüber reden, ja?”
Bereitwillig akzeptierte sie diese Antwort, denn eigentlich wollte sie es auch gar nicht wissen.
49. KAPITEL
“M mmm”, machte Shelly, als sie durch die Hintertür hereinkam. “Du machst deine berühmten Bohnen.”
Daria sah vom Herd auf, wo sie gerade braunen Zucker zu den Bohnen kippte. “Wie war die Arbeit?”
“Ganz okay. Wo sind Ellen und Ted?”
Daria drehte den Herd etwas herunter. “Ted hat es geschafft, Ellen zum Angeln zu überreden.” Beinahe hätte sie hinzugefügt:
Ist das nicht toll?
Es war ihr die reinste Freude, wenn Ellen nicht den ganzen Tag im Haus herumwuselte, und sie wusste, dass es Shelly genauso ging – auch wenn keine von beiden es zugab.
Shelly setzte sich an den Küchentisch. “Seitdem Pfarrer Sean nicht mehr da ist, macht mir die Arbeit in St. Esther's keinen großen Spaß mehr. Niemand spricht so mit mir wie er. Ich habe gern mit ihm geredet.”
Daria lehnte sich gegen den Tresen. “Hat Pfarrer Macy eigentlich von dir und Andy gewusst?”
“Er wusste alles von mir.”
Daria wischte mit dem Schwamm einen Klecks Melasse vom Tresen. Sean Macy hatte also von den beiden gewusst und es weder ihr noch Chloe verraten. Zwar verspürte sie eine gewisse Wut auf den Priester, wusste jedoch, dass es nicht fair war. Shelly hatte mit ihren Schwestern nicht über Andy sprechen wollen, und es war gut, dass sie sich wenigstens dem Priester anvertraut hatte. Kein Wunder, dass sein Tod sie so schmerzte.
Sie legte den Schwamm hin, ging zum Tisch hinüber und nahm ihre Schwester kurz in den Arm und drückte sie sanft. “Er muss dir schrecklich fehlen.”
“Ja.”
Daria sah auf die Uhr, nahm dann ihre Tasche vom Tisch und wühlte nach ihrem Autoschlüssel. “Kannst du kurz ein Auge auf die Bohnen werfen, während ich ein paar Besorgungen mache?”, fragte sie mit dem Schlüssel in der Hand.
“Klar.”
“Ich muss nur schnell zur Drogerie und zum Autoschalter der Bank. Du hast doch heute deinen Lohn bekommen, oder? Wenn du willst, zahle ich deinen Gehaltsscheck ein.”
“Den habe ich gar nicht mehr.”
“Was soll das heißen?”
“Als ich von der Kirche nach Hause ging, traf ich dieses Mädchen. Sie war erst fünfzehn und hatte keine Familie.”
Darias Schultern verkrampften sich. Sie hatte eine dunkle Vorahnung; so etwas war schon einmal vorgekommen. “Woher weißt du, dass sie keine Familie hat?”, fragte sie.
“Na ja, eigentlich hat sie schon eine.” Shelly sah sie mit großen braunen Augen an. “Sie hat eine Mutter und einen Stiefvater, aber sie behandeln sie sehr schlecht. Deshalb ist sie ganz allein auf den Outer Banks. Und sie hatte kein Geld, Daria. Nicht einen Cent! Sie hatte schon den ganzen Tag nichts gegessen und gestern auch kein Abendessen gehabt. Also habe ich bei der Bank um die Ecke meinen Scheck eingelöst und ihr das Geld gegeben.”
Daria ließ ihre Tasche auf den Tisch fallen. “Shelly, so was kannst du doch nicht machen! Vielleicht hat dich das Mädchen ja angelogen. Vielleicht kauft sie sich mit deinem Geld jetzt Drogen.”
“Nein, das glaube ich nicht. Sie war spindeldürr. Ich glaube, ihre letzte Mahlzeit liegt schon …”
“Selbst
wenn
sie lange nichts gegessen hat, selbst
wenn
sie ein paar Dollar für ein Essen brauchte, du hättest ihr doch nicht gleich das ganze Geld geben müssen.”
“Daria, wenn du sie gesehen hättest … Du hättest ihr auch alles gegeben. Sie ist arm. Wir nicht. Sie brauchte das Geld viel dringender als ich.”
“Wir sind nicht so reich, wie du anscheinend glaubst”, erklärte Daria, auch wenn das eigentlich nicht das Thema war. “Außerdem erwartest du ein Kind. Und Kinder kosten Geld.”
Shelly sah bestürzt aus. “Dann verschenke ich ab jetzt kein Geld mehr. Aber wirklich, Daria, sie meinte, ihr Stiefvater würde sie schlagen und so. Du würdest doch auch nicht wollen, dass sie zurück in so ein
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