Sommerkind
mich auch niemand darauf angesprochen. Und wenn es so weit ist, sage ich einfach, ich hätte nicht ausreichend Informationen zusammenbekommen, als dass es sich lohnen würde weiterzumachen. Am schwierigsten wird es sein, es Shelly beizubringen.”
“Ich weiß.”
“Hast du dir überlegt, ob Shelly die Wahrheit erfahren soll? Ich glaube, ich an ihrer Stelle würde sie wissen wollen, egal wie hart sie ist.”
Daria streichelte ihm über die Brust. “Aber dann müsste ich zuerst Ellen damit konfrontieren, und darauf kann ich ehrlich verzichten. Ich habe immer gehofft, sie würde eines Tages selbst mit der Wahrheit herausrücken, doch das wird nie geschehen. Das ist nicht ihr Stil. Ellen interessiert sich nur für einen Menschen, und das ist: Ellen. Manchmal glaube ich, sie leugnet vor sich selbst, dass Shelly ihre Tochter ist. In einer anderen Welt mit einer anderen Mutter würde ich sagen, Shelly sollte die Wahrheit erfahren. Aber Ellen ist so ekelhaft zu ihr, dass ich nicht wüsste, was daran gut für Shelly sein sollte.”
“Vielleicht ist Ellen so ekelhaft zu ihr, wie du sagst, weil sie es ihr übel nimmt, geboren worden zu sein. Shelly war nicht gewollt. Die Schwangerschaft hat Ellens Pläne durchkreuzt.”
“Ich weiß es nicht, Rory. Ich habe jahrelang versucht, Ellen zu analysieren, und nie warf das Ergebnis ein besonders menschenfreundliches Licht auf sie. Ich versuche zu bedenken, dass sie erst fünfzehn war. Wenn mir so etwas mit fünfzehn passiert wäre, hätte ich vielleicht genauso gehandelt.”
“Daran habe ich meine Zweifel.” Rory rollte sich auf den Bauch und stützte sich auf die Ellbogen. Er lächelte sie an. “Nicht meine Daria. Du wärst viel zu gescheit gewesen, um schwanger zu werden. Aber wenn es doch passiert wäre, hättest du das Baby vermutlich ohne Hilfe zur Welt gebracht, die Nabelschnur mit den Zähnen durchgebissen, das Kind gestillt und nebenbei drei Schwimmer aus einer Rückströmung gerettet.”
Sie lachte. “Ich glaube, du idealisierst mich ein bisschen.”
Er war einen Moment lang still. “Du hast noch gar nicht über deine Arbeit bei der Rettung gesprochen. Nach dem Zwischenfall an Andys Steg dachte ich, du würdest dort vielleicht gern wieder anfangen.”
Sie atmete schwer. “Ich habe nicht mehr so viel Angst”, räumte sie ein. “Und seit einigen Wochen hatte ich auch keine Albträume von der Pilotin mehr. Aber ich habe trotzdem gelogen, Rory. Ich habe etwas vertuscht. Das kann ich nicht einfach ignorieren und weitermachen.”
“Was würde passieren, wenn du es zugibst?”
“Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Nach dem Motto: auf vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit plädieren und um Gnade flehen. Aber so einfach ist das nicht. Es müsste eine Untersuchung geben. Solche Dinge werden sehr ernst genommen, und das ist auch gut so. Ich habe es getan, um meine Schwester zu schützen, und wir beide wissen, dass sie es nicht mit Absicht gemacht hat und meinen Schutz auch wirklich brauchte. Aber wenn ich damit ungeschoren davonkomme, ist es beim nächsten Mal jemand, der seinen Bruder vor irgendwas anderem schützen muss, und dann ist dieses Irgendwas vielleicht nicht mehr so harmlos. Man kann die Sache also nicht einfach ausradieren und vergessen. Irgendwann werde ich mich stärker damit auseinandersetzen müssen, weil ich wirklich gern wieder als Sanitäterin arbeiten möchte. Aber für den Rest des Sommers will ich das alles einfach vergessen und heißen Sex mit dir haben. Okay?”
Er lachte. “Freut mich, wenn ich dir bei deiner Flucht aus der Realität helfen kann.”
Daria legte sich wieder auf den Rücken. “Ich muss heute noch die Zutaten für meine Baked Beans kaufen”, sagte sie. “Was bringst du denn zum Lagerfeuer mit?” Traditionell bereitete jeder aus der Straße etwas zu essen zu.
“Jill hat vorgeschlagen, ich könnte Pappteller, Servietten und Plastikbesteck mitbringen. Wahrscheinlich hält sie mich für keinen besonders guten Koch.”
Daria konnte den Duft des Lagerfeuers schon fast riechen. Sobald die Mehrzahl der Strandbesucher gegangen wäre, würden Jill, ihr Mann und ihre Kinder zwei Feuer entfachen – eins für die Erwachsenen und eins für die Kinder. Allmählich kämen dann alle Anwohner der Sackgasse an den Strand, um gemeinsam zu essen, zu trinken und um zu bedauern, dass der Sommer fast vorbei war. Das Lagerfeuer war Jahr für Jahr der Auftakt zum Sommerende.
Rory sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. “Ich gehe
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