Sommerkind
meiner Recherche nicht finde, Shelly, kennt vielleicht einer der Zuschauer die Wahrheit und meldet sich bei mir.”
Chloe setzte sich in den Schneidersitz. “Ich glaube, das ist keine so gute Idee, Rory”, gab sie zu bedenken. “Warum an einer Sache rühren, die schon über zwanzig Jahre her ist?”
“Chloe hat recht”, pflichtete Daria ihrer Schwester bei. “Tut mir leid, wenn ich dir einen Strich durch die Rechnung machen muss, aber Shelly ist eine Cato. Das war sie von Anfang an. Natürlich haben wir um das, was ihr widerfahren ist, nie ein Geheimnis gemacht. Aber sie ist eine von uns. Ein wesentlicher Teil von uns. Wer sie zur Welt gebracht hat, spielt keine Rolle.”
Zum ersten Mal seit seiner Ankunft war das Lächeln aus Shellys Gesicht verschwunden. “Ich weiß, dass ich eine Cato bin”, sagte sie zu Daria. “Aber ich bin auch noch irgendetwas anderes. Und ich wollte schon immer wissen, was dieses Irgendetwas ist.”
Daria war überrascht. “Davon hast du nie ein Wort gesagt, Shelly. Nicht ein einziges Mal.”
“Weil ich dachte, ich könnte es sowieso nicht herausfinden. Aber dann habe ich eines Abends 'True Life Stories' gesehen, und ich wusste, dass Rory hier gewohnt hat, als ich gefunden wurde, und dass er solche Rätsel immer lösen kann. Also … wenn er es versuchen will …”, sie zog die Schultern hoch, “… dann will ich, dass er es macht.”
Er hatte nicht mit Widerstand gerechnet. Aber wenn Chloe und Daria von dem Brief nichts gewusst hatten, war es nur verständlich, dass sie von seinem Vorhaben nicht begeistert waren. War er zu aufdringlich? War Shellys Bitte wirklich Grund genug für ihn, sich in ihr aller Leben einzumischen?
“Tja”, er stand auf. “Ich muss darüber wohl noch mal nachdenken.” Shelly biss sich auf die Unterlippe. Zwischen ihren Augenbrauen formte sich eine Falte. “Und jetzt gehe ich besser nach Hause und sehe nach, was mein Sohn macht.”
“War schön, dich wiederzusehen”, sagte Chloe. Sie blieb sitzen.
Daria stand auf und brachte ihn zur Verandatür. “Ich hoffe, du kommst öfter mal vorbei, Rory”, sagte sie.
“Danke. Das mache ich bestimmt.”
“Entschuldige bitte, dass Shelly dir Umstände gemacht hat …”
“Das hat sie nicht. Keineswegs.”
Daria schüttelte sich ein paar Sägespäne aus dem Haar. Im Licht der Veranda sah Rory ihren sorgenvollen Blick. “Ich glaube einfach, es wäre ein Fehler, der Sache auf den Grund zu gehen”, begann sie zu erklären.
Er legte ihr die Hand auf den Arm. “Lass uns noch mal in Ruhe darüber sprechen, ja?”
Als Shelly ihn einholte, hatte er schon die Mitte der Sackgasse erreicht.
“Rory, warte kurz”, bat sie.
Er blieb stehen und drehte sich um. Das Terrassenlicht des Poll-Rory warf einen schwachen Schimmer auf ihr Gesicht.
“Was gibt's?”, fragte er.
“Bitte, Rory. Ich möchte immer noch, dass du meine richtige Mutter findest”, bettelte sie. “Ich möchte es so gern wissen.”
Er zögerte. “Deine Schwestern haben starke Bedenken.”
“Ich weiß, aber hierbei geht es doch um
mich
, oder?”
Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht. In den Augen dieser erstaunlichen jungen Frau lag große Hoffnung, und er konnte nicht anders, als sie anzulächeln. “Du hast recht, Shelly. Es geht um dich.”
5. KAPITEL
A llmählich besserte sich Darias Laune. Als sie in ihrem Wagen auf Shelly und Chloe wartete, um mit ihnen die Sonntagsmesse zu besuchen, fühlte sie sich so unbeschwert wie seit zwei Monaten nicht mehr. Schon als sie am Morgen mit einem breiten Lächeln auf den Lippen aufgestanden war, hatte sie diese Veränderung gespürt, und sie brauchte nur zum Poll-Rory hinüberzusehen, um den Grund dafür zu erfahren. Allerdings bekam ihr Frohsinn durch Rorys Vorhaben, in Shellys Vergangenheit herumzuschnüffeln, einen gehörigen Dämpfer. Nichts würde dadurch gewonnen … und zu viel verloren.
In der benachbarten Auffahrt stiegen Ruth und Les Wheeler gerade in ihren Geländewagen. Auch einige ihrer Enkelkinder kletterten hinein. Sie waren ebenfalls auf dem Weg zum Gottesdienst nach Nag's Head. Daria winkte, und Ruth Wheeler rief ihr einen Gruß zu.
Chloe und Shelly kamen die Holztreppe herunter. Shelly setzte sich auf den Beifahrersitz, Chloe nach hinten.
“Heiliger Christophorus”, betete sie, “behüte und beschütze uns auf unserer Fahrt.”
So lange Daria denken konnte, hatte Chloe dieses Gebet jedes Mal gesprochen, wenn sie in ein Auto gestiegen war – selbst nachdem dem
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