Sommerkind
erledigte, zog Rory sich ein T-Shirt über, räumte die Spülmaschine aus, um nicht tatenlos herumzustehen, und stellte erleichtert fest, dass sie bei dem Gespräch mit ihrem Partner keinen vertrauten Ton anschlug.
“Ich mache mich jetzt lieber auf den Weg”, sagte sie nach dem Telefonat. “Vielen Dank noch mal.”
“Wo parken Sie?”
“Nur die Straße hoch.”
“Ich bringe Sie.” Er schloss die Spülmaschine und geleitete sie aus dem Haus.
“Und”, fragte sie mit Blick auf das Sea Shanty, “werden Sie … wie heißt das noch gleich? Bildmaterial? Werden sie Bildmaterial vom Sea Shanty sammeln? Wollen Sie das erwachsene ausgesetzte Baby in Ihre Sendung einladen?”
Nebeneinander gingen sie die Straße zu ihrem Auto hinauf. “Ich weiß noch nicht, welche Form diese Geschichte annehmen wird”, antwortete er. “Aber es freut mich, dass Sie von der Idee so fasziniert sind. Ich will nämlich sichergehen, dass der Fall die Masse anspricht.”
Grace lachte. Zum ersten Mal sah er eine gewisse Unbeschwertheit in ihrem Gesicht. “Na ja”, sagte sie, “ich bin zwar nicht sicher, ob ich repräsentativ bin für die Masse, aber ich finde die Geschichte von einem Findelkind auf jeden Fall spannend.” Sie deutete auf eine Limousine am Straßenrand. “Das ist mein Auto.”
Er konnte sie nicht fahren lassen, ohne zu wissen, ob sie sich noch mal wiedersehen würden. “Besuchen Sie Ihre Freundin in Kill Devil Hills öfter?”, fragte er.
“Nein. Sie war nur für eine Woche hier und reist morgen wieder ab.”
“Na ja, jetzt haben Sie ja einen neuen Freund, den Sie hier besuchen können.” Ein fremdes Gefühl, so forsch zu sein, aber sie schien sich zu freuen.
“Danke”, sagte sie, und ihre Lippen formten wieder dieses unwiderstehliche Lächeln.
“Verraten Sie mir Ihre Telefonnummer?”, fragte er.
“Sicher.” Sie sagte die Nummer auf, und da keiner von beiden etwas zu schreiben dabei hatte, merkte Rory sie sich. Als sie wegfuhr, drehte sie sich noch einmal zum Sea Shanty um. Die Geschichte ist einfach Gold wert, dachte Rory.
10. KAPITEL
“A lso”, sagte Andy, “wenn du dich um die Schrankwand kümmerst, fertige ich die Anrichte für die Küche an. Abgemacht?”
Daria hörte ihn kaum. Sie und Andy besprachen auf ihrer Veranda die Gestaltung eines Hauses in Corolla, doch ihr Blick klebte an Rory. Er war mit einer Frau vom Strand gekommen und ins Haus gegangen. Nach ungefähr zehn Minuten waren sie wieder herausgekommen, und nun begleitete er sie gerade zu ihrem Auto. Auf dem Weg vom Strand zum Poll-Rory war sein Oberkörper unbekleidet gewesen, jetzt trug er ein T-Shirt mit weißen und blauen Blockstreifen. Die Frau mit dem Gang eines Models war groß und schlank. Ihr dunkler Badeanzug betonte die Schultern, und ihre langen Beine wiesen vermutlich keine Spur von Cellulitis auf.
So ein Mist.
“Erde an Daria”, sagte Andy. Er stand auf und legte die Zeichnungen in seine Mappe.
Daria lächelte ihn an. “Entschuldige”, meinte sie. “Ja, ich kümmere mich um die Anrichte.”
“Nein, du baust die Schrankwand. Ich wusste, dass du nicht zuhörst.”
“Hab ich wohl”, log sie. “Ich wollte dich nur foppen.”
Rory berührte die Frau am Arm, was in Daria dasselbe Verlustgefühl verursachte wie damals mit elf, als er seine Zeit lieber mit den Älteren verbracht hatte. Sie verlor ihn schon wieder, und das, wo sie ihn doch noch gar nicht für sich gewonnen hatte. Diese Schwärmerei war wirklich blödsinnig, das konnte sie nicht leugnen.
“Gibst du heute Abend deine Stunde auf der Feuerwache?”, fragte Andy.
“M-hm.”
“Wenn ich doch nur in der Klasse wäre …”
Wieder lächelte sie. “Das fände ich auch schön.”
“Dann also bis morgen?” Er stieß die Fliegengittertür auf.
“Ja, bis dann.”
Rory war auf dem Weg zurück zu seinem Cottage, als er Daria erspähte, ihr winkte und auf sie zukam.
“Viel Glück”, sagte Andy mit einem breiten Grinsen, ehe er die Tür schloss.
Oh Gott, jeder wusste, dass sie auf Rory stand.
Im Hof grüßten sich die beiden Männer im Vorbeigehen, dann öffnete Rory auch schon die Verandatür. Er blieb kurz stehen und lächelte.
“Ich komme hier einfach so rein wie früher, ohne anzuklopfen”, sagte er. “Darf ich überhaupt?”
“Natürlich”, antwortete Daria und deutete auf einen Schaukelstuhl. “Setz dich doch.” Sie wusste von seinem Strandspaziergang mit Shelly und wollte eigentlich sauer auf ihn sein. Sie
sollte
sauer auf
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