Sommerküsse voller Sehnsucht
fand seine Äußerungen engstirnig und manchmal sogar faschistisch. Einmal hatte sie bemerkt, dass es England sehr wohl schaden würde, wenn jeder Immigrant, der nach dem Krieg ins Land gekommen war, wieder ausgewiesen würde. Die Diskussion war daraufhin in einen erbitterten Streit gemündet, und seither zog Bron es vor, den Mund zu halten.
Pat, Rogers Mutter, hatte sich nach dem Essen in die Küche verzogen, um sich um den Abwasch zu kümmern. Zu Anfang hatte sie sich noch darüber aufgeregt und verlangt, dass die Männer den Tisch abräumten. Aber irgendwann hatte sie sich damit abgefunden, dass Vinces Beitrag zum Sonntagsessen darin bestand, eine Flasche Wein zu öffnen.
Als Bron Rogers Vater kennengelernt hatte, hätte sie sofort erkennen müssen, dass es mit Roger nicht lange gut gehen würde. Aber damals war sie noch blind vor Liebe gewesen und hatte geglaubt, die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn sei nur äußerlich.
Pat hingegen mochte sie, und sie fühlte sich ihr sehr verbunden. Klaglos tat Pat alles, was ihr Mann von ihr verlangte, vermutlich weil jeder Widerspruch zwecklos war. Wenn Pat allein war, war sie auf eine sympathische Art witzig, und die beiden Frauen kamen gut miteinander klar. Inzwischen hatten sie sich eine Art Ritual angewöhnt. Nachdem die Männer im Wohnzimmer verschwunden waren, räumten sie den Tisch ab, stellten die Spülmaschine an und weichten die Töpfe in der Spüle ein. Dann gingen sie ins Schlafzimmer zum Frisieren.
»Erzähl mir ein bisschen über die Hochzeit gestern«, bat Pat, während Bron ihre Haare anfeuchtete. »Mich interessieren natürlich vor allem die Kleider.«
»Ach, es war wunderbar. Auch wenn es in der allerletzten Minute eine kurze Panik gab, weil die Haupt-Brautjungfer einfach nicht erschienen ist.« Bron gab einen Schuss Festiger in die Handfläche und massierte ihn in Pats feuchte Locken.
»Wirklich? Wie unmöglich!«
»Allerdings. Daraufhin haben die Braut und ihre Mutter darauf bestanden, dass Elsa, das Mädchen, das alle Kleider genäht hat, für sie einspringt. Und ich musste ihr noch schnell die Haare machen. Ich habe ihr eine ganz neue Frisur mit Pony verpasst. Das sah super aus! Um die Mutter der Braut musste ich mich auch noch kümmern, aber da brauchte ich nur mal kurz durchzubürsten und ein wenig zu schminken.« Sie schaute ihre Schwiegermutter im Spiegel an und fragte sich, ob sie vielleicht auch mal eine neue Frisur vertragen könnte.
Pat war noch nicht zufrieden. »Wie waren denn die Kleider? Und der Bräutigam? Sah er gut aus?«
»Den Bräutigam habe ich gar nicht gesehen, aber die Kleider waren einfach himmlisch!«
Eine kurze Pause entstand, dann sagte Pat: »Keine Angst, meine Liebe. Roger wird dich auch irgendwann fragen, ob du ihn heiraten möchtest. Sein Vater hat dazu fünf Jahre gebraucht.«
Bron atmete tief ein und kürzte eine von Pats Haarsträhnen. War es das, was sie wollte? Würde sie sich weniger ausgenutzt fühlen, wenn sie und Roger verheiratet wären? Schwer zu sagen. Vielleicht ja. Aber sie war nicht mehr in ihn verliebt, das stand fest. Spielte das eine Rolle? Hatte Verliebtsein nicht ohnehin nur was mit den Hormonen zu tun? War es nicht eine Art chemische Reaktion, die irgendwann nachließ? Vielleicht war es ja ganz okay, mit jemandem verheiratet zu sein, der zwar nicht besonders aufregend, dafür einem aber vertraut war. Vielleicht wurde das mit dem Verliebtsein ja völlig überbewertet.
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Kapitel 6
A m späten Nachmittag war Elsa zu dem neuen Wohngebiet am Flussufer spaziert. Es lag ein Stück außerhalb der Stadt und schien hauptsächlich auf junge Familien zugeschnitten zu sein. Irgendwo hörte man einen Rasenmäher; ein Vater wusch mit seinen beiden Söhnen das Auto, und zwei junge Mütter sahen zu, wie ihre Kleinkinder in einem kleinen Pool planschten. Ein perfekter Sonntagnachmittag. Alles sah sehr friedlich aus, und Elsa fragte sich, ob Bron wohl auch überlegte, eine Familie zu gründen. Dann wäre das hier der ideale Wohnort, und sie würde sicher eine Menge gleichgesinnter Freundinnen finden. Elsa seufzte und dachte an ihre Freunde vom College zurück. Keiner von ihnen wohnte in ihrer Nähe, und wegen ihrer vielen Arbeit und ihrer etwas scheuen Art war es ihr bisher noch nicht gelungen, einen neuen Freundeskreis aufzubauen.
Sie drückte auf den Klingelknopf. Einen Augenblick später sah sie durch die Scheibe der Eingangstür eine
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