Sommerkuesse
doch genauso«, sagt sie zur Rechtfertigung. Sie streicht das Papier glatt.
Battle und ich lesen über ihre Schulter gebeugt mit:
»Lieber Sohn,
seit du abgereist bist, haben deine Mutter und ich viel nachgedacht und haben einen Entschluss gefasst. Es wird für keinen von uns leicht werden, aber auf lange Sicht ist es so für alle Beteiligten das Beste. Deine Mutter und ich wollen uns scheiden lassen.«
Dieser Teil ist am Computer geschrieben. Anschließend folgt noch ein handschriftlicher Zusatz:
»Mein Liebling. Über die Einzelheiten haben wir noch nicht geredet. Aber natürlich kommen wir zum Besuchswochenende und besprechen dann ausführlich alles mit dir. Du kannst dir aber schon mal überlegen, ob du mit deiner Schwester lieber bei mir oder bei deinem Vater wohnen möchtest. Die Entscheidung überlassen wir euch. Alles Liebe, deine Mutter.«
Eine Zeit lang sagt keine von uns ein Wort.
»Sein Vater hat es noch nicht mal für nötig gehalten zu unterschreiben«, sage ich schließlich leise.
»Wir müssen mit ihm reden. Wahrscheinlich geht es ihm jetzt total dreckig. Oder was meint ihr? Hat jemand eine Idee, wo er hin ist?« Katrina sieht sich um, als lauere Isaac in irgendeiner Ecke.
Ich schüttele den Kopf. »Aber er hat doch gesagt, es sei nicht der Rede wert. Ich glaub nicht, dass er so bald Bock hat, sich mit jemandem auszutauschen.«
»Aber wenn er nicht darüber redet, dreht er durch«, meint Battle. »Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.« Sie spricht leise, aber bestimmt.
»Ich würde sagen, es geht jetzt vor allem darum«, sagt Katrina, »ihm klar zu machen, dass ihn niemand für einen Loser hält, bloß weil seine Eltern sich arschlochmäßig verhalten, und dass er offen darüber reden kann.«
»Aber glaubt ihr denn nicht, dass er total sauer wird, wenn er merkt, dass wir den Brief gelesen haben?«, gebe ich zu bedenken.
Katrina winkt ab. »Was glaubst du, warum er den Papierkorb nicht getroffen hat?«
»Na, vielleicht weil er aufgeregt war?«, sage ich.
Katrina schüttelt den Kopf. »Nein. Weil er wollte, dass wir den Brief finden. Er konnte uns nicht offen davon erzählen, aber er hat es darauf angelegt, dass wir ihn lesen«, sagt sie entschieden.
»Was meinst du denn, Nic? Was sollen wir jetzt machen?«, fragt Battle und sieht mich ernst an.
Ich werde rot. Schon wieder. Verdammt.
»Na ja …« Ich suche nach den richtigen Worten. »Irgendwie glaub ich, dass wir ihm Zeit lassen sollten, in Ruhe über alles nachzudenken. Ich finde schon, dass wir mit ihm reden müssen – absolut. Aber eben erst, wenn er sich … wieder ein bisschen abgeregt hat.«
»Erstens«, sagt Katrina mit erhobenem Zeigefinger, »besteht das Problem bei Isaac nicht darin, dass er sich abregen muss. Das Problem ist, dass er sich womöglich bald gar nicht mehr regt, wenn wir nicht eingreifen.« Sie ist bereits auf dem Weg zur Tür. »Und zweitens:« – sie hält noch einen Finger hoch. – »Er hat sowieso genug Zeit, sich abzuregen, weil wir nämlich keine Ahnung haben, wo er steckt.«
Wieso glaubt Katrina, so genau zu wissen, was in Isaac vorgeht? »Ich weiß, wo er ist«, sage ich. »Jedenfalls glaube ich es. Er geht gern zum Fluss runter.«
Katrina wirbelt herum und sieht mich einen Moment lang an, als würde sie das, was ich gerade gesagt hab, total überraschen. Im nächsten Augenblick würde ich mir auch schon am liebsten auf die Zunge beißen. Wahrscheinlich höre ich mich an, als würde ich Isaacs geheimste Gewohnheiten kennen – was Katrina wiederum, falls sie an ihm interessiert ist (was ich glaube), zu der falschen Annahme verleiten könnte, ich hätte so was wie die älteren Rechte.
»Das hat er mir auf der Krankenstation erzählt, als wir warten mussten, bis die Schwester für mich Zeit hatte«, sage ich hastig.
Den Kommentar der Schwester behalte ich lieber für mich. Isaac und ich sahen wohl so aus, als würden wir uns ganz besonders gut verstehen. Sobald die Schwester mit dem Patienten vor uns fertig war, sagte sie nämlich: »Und ihr seid sicher da, um euch etwas zur Empfängnisverhütung zu holen.« Wir kicherten beide verlegen und dann sagte Isaac: »Nein, eigentlich eher was zur Schmerzverhütung«, und zeigte auf meinen Knöchel.
»Also, wie geht es jetzt weiter?«, fragt Katrina. »Gehen wir einfach zu ihm und sagen: ›Hey, heul dich an unserer Schulter aus, Big Guy ‹?«
Mir kommt eine Idee. »Wir könnten doch so tun, als wären wir zufälligerweise auch auf die Idee
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