Sommerkuesse
Hausordnung, oder? Wisst ihr, wann ihr auf euren Zimmern zu sein habt?«
Wir nicken.
»Ihr habt die Hausordnung übertreten, also muss ich euch eine Verwarnung schreiben. Findet ihr, das war es wert?«
Ja, denke ich und spüre noch den Druck von Battles Umarmung. Ja, ja, ja.
19. Juli, 19:00 Uhr, bei Katrina
Katrina wühlt in dem riesigen Karton mit ihren Klamotten herum. »Was willst du eigentlich damit?«, fragt sie.
»Ich möchte etwas für Battle basteln … aber gib mir nur etwas, was du auch wirklich nicht brauchst.«
»Kein Problem. Ich stelle euch zur Befriedigung eurer unkeuschen Begierden gern meine Garderobe zur Verfügung … Was willst du ihr denn basteln? Etwa ein mit Stoff überzogenes Sexspielzeug?« Katrina hält ein Paar Leggings aus grünem Samt in die Höhe. »Hier, die blöden Dinger sind mir sowieso zu eng. Die kannst du ruhig haben.«
»Genau was ich brauche! Heißen Dank«, sage ich.
»Also, sag schon. Was bastelst du ihr?«
»Ein Geschenk.«
Ich kann ihr nichts Genaueres sagen. Wenn ich ihr erzählen würde, dass ich eine Handpuppe basteln möchte, würde sie wissen wollen, wie ich darauf gekommen bin, und dann müsste ich ihr von Nick-mit-K erzählen, und Battle würde nie mehr mit mir reden.
» Ein Geschenk «, äfft mich Katrina nach. »Gott, ihr mit eurer Geheimnistuerei. Ich finde, ihr treibt es ziemlich weit. Was für …«
»Stimmt, und zwar gern und zu jeder Gelegenheit!«, schneide ich ihr das Wort ab und kichere dreckig. »Danke noch mal. Wir sehen uns dann morgen beim Frühstück.«
feldbeobachtungen:
- leggings zerschneiden und kleid daraus nähen
- perücke aus echtem haar machen, aus dem zopf (woraus sonst!)
- brauche: modelliermasse für kopf + hände, füllmaterial für den körper (bloß woher?), krone.
20. Juli, 12:30 Uhr, Mensa
»Ich glaub, ich schreib irgendwann mal einen Song über deinen Kopf«, sagt Kevin zu Battle. Sie lacht. Inzwischen ist es zu so einer Art täglichem Ritual geworden, dass Kevin ihr beim Mittagessen den Kopf streichelt. Und mit jedem Tag nervt es mich mehr. Ob ich mit Battle darüber gesprochen habe? Nein, natürlich nicht. Wieso nicht? Tja. Bitte alle im Chor: Worte funktionieren nicht immer.
»Ach, du schreibst auch Songs?«, fragt Battle so interessiert, dass es fast wehtut.
Dass er Orchesterkompositionen macht, wissen wir alle – das ist schließlich auch nicht zu übersehen. Manchmal guckt er von seinem Notenpapier auf, das er überallhin mitschleppt, und schwafelt plötzlich was davon, welchen Einfluss die U-Musik des 19. Jahrhunderts auf die sinfonischen Strukturen hatte, dass Alban Berg ein Genie war, oder dass irgendwelche fünf andere Komponisten, von denen ich noch nie was gehört habe, in Wirklichkeit viel einflussreicher gewesen sind als Elvis oder die Beatles.
Kevin nickt. »Nietzsche sagt euch doch was, oder?«
Die Frage schockt mich. Obwohl er praktisch die ganze Zeit vor sich hin komponiert und ständig obskure Komponistennamen fallen lässt, halte ich Kevin trotzdem für einen Vollidioten. (»Sei gnädig mit ihm«, hat Katrina mal zu mir gesagt, als ich wieder einmal ziemlich deutlich durchblicken ließ, dass ich ihn für einen Schwachmatiker halte. »Kevins Muttersprache ist eben nicht Englisch, sondern Musisch.«)
»Was uns nicht umbrrringt, macht uns nurrr stärrrker«, bellt Isaac mit übertriebenem Arnold-Schwarzenegger-Akzent.
»Wo das Chaos auf die Ordnung trifft, gewinnt meist das Chaos, weil es besser organisiert ist«, sagt Kevin scheinbar zusammenhanglos.
»Ist das etwa auch von Nietzsche?«, fragt Battle.
»Genau. Der Satz hat mich auf den Namen meiner Band gebracht. ›Organized Chaos‹.« Kevin stopft sich ein Stück Brownie in den Mund.
»Klingt gut«, sagt Katrina.
»Na, ich weiß nicht«, widerspreche ich. »Überleg mal, was die Begriffe ›organisiert‹ und ›Chaos‹ bedeuten. Die beiden schließen einander doch aus. Wenn etwas organisiert ist, dann befinden sich alle Dinge da, wo sie hingehören. Und beim Chaos ist nichts da, wo es hingehört.«
»Deshalb ist es ja gerade so ein cooler Name«, erklärt Kevin mit vollem Mund. »Das Chaos existiert sozusagen innerhalb eines organisierten Systems.«
»Das ist ja echt tiefsinnig, Mann. Du hättest gut in die Sixties gepasst«, sagt Isaac, der fast so genervt klingt wie ich. Jaaa – gib’s ihm, Isaac!
»Zu einer Jamsession mit Jimmi hätte ich mich schon breitschlagen lassen«, sagt Kevin.
»Wir könnten ja deine Gitarre
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