Sommerkuesse
vergorenen Trauben!«, sage ich, als ich wieder sprechen kann.
»Soll er das nicht auch?«, fragt Battle und nimmt mir die Flasche wieder ab.
»Ich hätte nicht gedacht, dass er so extrem nach vergorenen Trauben schmecken muss«, erwidere ich, während Battle noch einen Schluck nimmt.
Als sie die Flasche wieder sinken lässt, sagt sie: »Tja, meine liebe Ms Lancaster, offenbar haben Sie keinen geschulten Gaumen. Der echte Connaisseur würde nämlich sofort erkennen …«
»Dass das ein widerlicher Fusel ist«, beende ich ihren Satz. »Gib noch mal!«
Diesmal nehme ich einen größeren Schluck. So schrecklich der Wein auch schmeckt – das Prickeln, das sich in meinem
Körper ausbreitet, und die Hitze, die mir ins Gesicht steigt, gefallen mir.
Ich muss daran denken, wie ich Bleistiftlinien manchmal mit dem kleinen Finger verreibe, um sie weicher und verschwommener wirken zu lassen. Genau dasselbe passiert gerade in meinem Gehirn.
Ich lasse mich von dem Baumstumpf neben Battle auf die Decke gleiten.
»Du bist so rot im Gesicht. Süß«, sagt Battle und streichelt mir über die Wange.
»Und du bist so schön«, sage ich. Sie wird rot.
»Hör auf zu lügen«, sagt sie.
Ich packe sie bei den Schultern und sehe ihr ins Gesicht. »Doch. Bist du wirklich.«
»Du bist doch betrunken!«, sagt sie.
Ich möchte sagen: »Ich liebe dich«, traue mich aber nicht.
Stattdessen küsse ich sie. Dann trinken wir noch mehr Wein.
Der Wein macht es einfacher. Alles, was uns peinlich war, all die Schritte, die wir noch nicht zu gehen gewagt hatten … alles verschwimmt und weicht auf, bis bloß noch Empfindungen übrig sind: die kühle Nachtluft auf unserer Haut, die Berührungen von Händen und Lippen, der harzige Geruch der Kiefern vermischt mit dem Duft von Lavendel, unsere lauten Atemzüge.
»Du warst so schön, dass ich dich einfach zeichnen musste. Aber dass da mehr ist, wurde mir erst richtig klar, als wir für das Seminar eine objektive Beschreibung abliefern sollten. Ich hab versucht, dich zu beschreiben, aber ich konnte einfach nicht objektiv bleiben …«
»Du hast etwas über mich geschrieben?«
Ich bekomme zwar dunkel mit, dass sie das wohl nicht so gut findet, aber ich bin trunken vor Liebe und Wein, und meine Stimme redet von selbst weiter.
»Ich hab’s ja nicht abgegeben! Aber dadurch hab ich es gemerkt und dann wurde das Gefühl immer stärker. Zum Beispiel, als ich dir die Haare abgeschnitten hab – ein Wunder, dass ich dich nicht mit der Schere gestochen hab. Ich war so was von nervös! Wann hast du es denn gemerkt? Gab es bei dir einen bestimmten Moment, wo du es plötzlich wusstest? Wie bist du an dem Abend, als ich Migräne hatte, überhaupt darauf gekommen, mich zu besuchen?«
»Wieso musst du alles immer so auseinander fieseln?«
»Damit ich weiß, wie es zusammengehört.«
»Und wenn es dabei kaputtgeht? Hör auf zu reden. Halt den Mund und fühl einfach.«
»Los komm, wir müssen zurück«, höre ich Battles Stimme.
Ich blinzle verwirrt. In meinem Schädel hallt ein dumpfes Pochen. Es ist noch dunkel – immerhin waren wir nicht die ganze Nacht über draußen. Hoffentlich hab ich nicht geschnarcht. Ich habe einen Geschmack im Mund, als wäre irgendwas darin gestorben. Battle steht über mir. Sie wirkt ungeduldig.
»Was hast du mit der Flasche gemacht?«, frage ich.
»Verbuddelt. Jetzt komm schon.«
Als ich mich mühsam aufrapple, komme ich mir linkisch und unbeholfen vor. Sie hat die Flasche vergraben? Ich wundere mich ein bisschen, dass sie sich bereitwillig die Hände schmutzig gemacht hat.
»Ach so. Hier«, sagt Battle. »Das hatte ich vergessen. Das wollte ich dir schenken.« Sie hält mir das violette Tuch hin. Unter ihren Fingernägeln klebt Erde.
Ich dachte, sie sei wütend auf mich. Jetzt weiß ich nicht, was ich denken soll. Ich schlinge mir das Tuch um den Hals. Es fühlt sich schön an auf der Haut.
»Danke«, sage ich zu ihrem Hinterkopf und stapfe ihr hinterher.
In meinem Kopf pocht es und in meinem Knöchel auch. Ist Battle etwa doch sauer auf mich? Und wenn ja, wieso?
Am Waldrand bleibt sie stehen und dreht sich zu mir um. Ich warte darauf, dass sie etwas sagt, aber sie bleibt stumm. Stattdessen legt sie die Arme um mich, drückt mich so fest, dass es beinahe wehtut, und hält mich lange Zeit so umschlungen, ohne loszulassen.
Im Treppenhaus werden wir von einer der Tutorinnen erwischt, die zum Aufpassen abkommandiert wurde.
»Ihr kennt doch die
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