Sommerkuesse
kleinen Soapszene ausgedacht habe, was damals zwischen ihr und ihrem Bruder abgelaufen sein könnte.
»Denk bloß nicht, dass ich für dich mit ihr rede«, sagt Katrina.
»Hab ich dich etwa darum gebeten?«, fauche ich sie an. Ich klimpere mit dem Eis in meinem Glas und schlürfe einen der Würfel in den Mund. Als ich draufbeiße, tun mir die Zähne weh. Ich kaue, bis er geschmolzen ist und mir das Wasser die Kehle hinabrinnt.
Katrina wirft die Hände in die Luft. »Ich geb’s auf. Außerdem muss ich bis morgen noch eine Trilliarde Sachen erledigen«, sagt sie. »Falls du mich brauchst – ich bin in meinem Zimmer.« Sie steht auf, geht und lässt das Tablett mit den Überresten ihres in Ranch Dressing ertränkten Salats auf dem Tisch stehen.
Ich bin hergekommen, um Archäologie zu studieren.
Verdammt noch mal, dann mach ich das auch.
Ich ziehe den Reißverschluss an meinem Rucksack auf und nehme eines der Bücher heraus.
Im nächsten Augenblick packt mich die Panik. Und wenn die beiden nun auch beschlossen haben, mit dem Abendessen bis ganz zum Schluss zu warten, um niemandem zu begegnen?
Ich muss hier weg.
Ich stürze meine Cola Light hinunter und kippe den Inhalt meines Tabletts in den Müll. Dann hetze ich zu meinem Platz zurück, um den Rucksack zu holen. Dabei stolpere ich und stoße mir an einer Bank das Knie an. Es tut verdammt weh. Das gibt mit Sicherheit einen riesigen blauen Fleck.
Gut so.
Okay, immerhin bin ich jetzt schon mal aus der Mensa raus, ohne ihnen begegnet zu sein. Wahrscheinlich wäre es klüger, nicht die übliche Route zu nehmen. Es könnte sein, dass sie gerade auf dem Weg nach unten sind.
Ich stehe unschlüssig in der Eingangshalle. Hinten links gibt es irgendwo einen Aufzug, den wir zwar nie benutzen, der mir aber mal aufgefallen ist, als ich mich auf dem Rückweg aus dem Seminar verlaufen hab.
Auf der Suche nach dem Aufzug biege ich zweimal falsch
ab, und jedes Mal wenn ich um eine Ecke biege, klopft mein Herz schneller. Bald fühle ich mich wie das riesige Metronom aus Holz, das meine Bratschenlehrerin, Ms Edwards, während des Unterrichts immer ticken lässt.
»Allegro! Presto! Prestissimo!« Und jedes Mal wenn mir jemand im Gang entgegenkommt, bin ich einen Augenblick lang total sicher, dass sie es sind.
Und dann erinnere ich mich plötzlich an eine Strategie, die mir schon in der Grundschule gute Dienste geleistet hat, wenn ich die dummen Sprüche der anderen nicht hören wollte. Ich hole eines meiner Bücher aus dem Rucksack, lese es im Gehen und schaue nur auf, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Es wäre sicherlich hilfreich, wenn ich auch nur einen Funken Interesse für das achte Kapitel von »Die Entdeckung unserer Vergangenheit« aufbringen könnte: »Vergangenes verstehen: Die schrittweise Rekonstruktion früherer Kulturen«. Aber das ist wahrscheinlich ein bisschen viel verlangt.
Als ich endlich vor dem Aufzug stehe, bin ich so dankbar, ungeschoren davongekommen zu sein, dass ich einen Moment einfach nur stehen bleibe. Ich will gerade auf den Knopf drücken, als die Tür von selbst aufgeht.
Sie steht mit dem Rücken zu mir und schaut Kevin an, der sie umarmt. Sie hat den Kopf in den Nacken gelegt.
Sie küssen sich.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als mir das Buch dicht vor die Nase zu halten und zu hoffen, dass sie mich vielleicht gar nicht erkennen, wenn sie aus dem Aufzug kommen.
Kevin sieht mich nicht, aber Battle. Sie starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Ich trete in die Kabine, drücke auf »Türe schließen«, lehne mich an die Wand und rutsche langsam zu Boden. Ich schlinge die Arme um die Knie. Meine Augen beginnen zu brennen. Ich will keinen Mucks von mir geben. Meine Kehle tut weh, so sehr versuche ich, das Schluchzen zu unterdrücken, aber ich presse die Lippen mit aller Kraft aufeinander und vergrabe mein Gesicht zwischen den Knien.
Nach einer Weile stehe ich auf und drücke auf den Knopf für mein Stockwerk.
27. Juli, 10:30 Uhr, Bibliothek
Eigentlich hatte ich geglaubt, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, aber das war wohl ein Irrtum. Ms Fraser will mich sprechen. Was wahrscheinlich bedeutet, dass ich ihren Kurs nicht bestanden habe. Ich frage mich, woran ich gescheitert bin. Dass ich beziehungsunfähig bin, weiß ich, aber ich hätte nicht damit gerechnet, nicht mal in Stratigrafie und Systematik auf einen grünen Zweig zu kommen.
Als ich die Bibliothek betrete, trifft mich ein Schwall eisiger Luft aus der
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