Sommerkuesse
zwei Mädchen und einen Jungen, allerdings nicht in der gewohnten Rollenverteilung.«
»Ah«, sagt Ms Fraser. Es ist ein sehr neutrales »Ah«. Es klingt nicht geschockt und auch nicht, als hätte sie begriffen, worum es geht. Es ist einfach nur ein »Ah«.
»Aber in hundert Jahren sind wir alle tot, deshalb ist es sowieso egal«, sage ich.
»Eine Archäologin würde sagen: In hundert Jahren sind wir alle tot und deshalb ist es nicht egal.«
»Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich wirklich Archäologie studieren will«, sage ich. Ich höre mich an wie Isaac, als er sagte, dass er nicht weiß, zu wem er ziehen soll.
»Du hast noch viel Zeit, dir das zu überlegen«, tröstet mich Ms Fraser.
»Dann wird man also nicht vom College geschmissen, wenn man nicht gleich am ersten Tag weiß, was man später mal werden möchte?«
Ms Fraser lacht. »Es gibt sogar Leute, die ihr Studium beenden und es nicht wissen. Ich kenne jemanden, der seinen Doktor in Philosophie gemacht hat und dann Briefträger wurde.«
»Wissen Sie, Ms Fraser«, sage ich. »Ich finde es echt nett, dass Sie sich Sorgen um mich machen, aber ich glaube, ich komme schon drüber weg. Und die Archäologie hilft mir dabei sogar wirklich. Wenn ich über Leute nachdenke, die vor tausenden von Jahren gelebt haben, kommt mir das, was jetzt passiert, gar nicht mehr so wichtig vor.«
Und das stimmt sogar – oft. Nur nicht so oft, wie ich es gern hätte.
Ms Fraser sieht mich mit merkwürdigem Blick an. »Das ist prima – aber lass dich nicht dazu verleiten, das Studium zu benutzen, um dich von deinen Gefühlen abzulenken. Das wäre nicht gut für dich.«
Ich sehe sie an und frage mich, woran sie denkt. »Okay«, sage ich.
»Dann lass uns mal zurückgehen«, schlägt sie plötzlich vor.
»Okay«, sage ich noch einmal. »Und danke.«
»Ich finde, das gehört zu meinem Job«, sagt Ms Fraser.
29. Juli, 14:40 Uhr, am Flussufer
»Also, ich bin ja der Meinung, du solltest nach San Francisco ziehen«, sagt Isaac.
Es geht natürlich mal wieder um das Phänomen Battle und Kevin. Katrina wollte eigentlich auch mit uns zum Fluss kommen, hatte es sich aber in letzter Minute anders überlegt, weil sie zu viel zu tun hat. Dieses »Meisterstück« für Carl – irgendein Megaprogramm, an dem sie schreibt – beherrscht inzwischen ihr Leben. Offenbar hat sie in letzter Zeit selbst Battle und Kevin kaum gesehen, weil sie nicht mehr in die Mensa geht, sondern sich das Essen aufs Zimmer holt. (Dem Müll nach zu urteilen, der sich bei ihr auf dem Boden ansammelt, isst sie hauptsächlich in Folie verschweißte Sachen.)
Erstaunlicherweise ist es heute etwas kühler, sodass ich mir eine Jacke übers T-Shirt gezogen habe. Isaac trägt einen weiten Schlabberpulli.
»Wieso?«, frage ich und versuche, meine ganze Gereiztheit in dieses Wort zu legen.
Isaac öffnet den Mund, dann muss er husten und sagt schließlich mit übertriebener Begeisterung: »Na, weil es da von Lesben nur so wimmelt! Da sind unter Garantie welche dabei, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als dich in deinem Kummer zu trösten.«
»Es gibt im Moment nur eine Person, die mich trösten könnte, Isaac, und es sieht überhaupt nicht so aus, als hätte sie die geringste Lust dazu. Trotzdem danke für den Tipp.«
»Eine Frage, Lancaster.« Isaac wird ernst.
»Na?«
»Hast du seit dem Tag, an dem du sie und ihn Hand in Hand gesehen hast, mal anders reagiert, als in Panik zu flüchten, sobald sie irgendwo aufkreuzt – egal ob mit oder ohne Kevin? Ich rede noch nicht einmal von der großen Aussprache. Ich meine so was Harmloses, wie zum Beispiel Blickkontakt. Hast du ihr seitdem mal in die Augen gesehen?«
Ich starre ihn wütend an. »Du kennst die Antwort doch genau. Nein. Worauf willst du hinaus? Wieso sollte ich mich noch unglücklicher machen, als ich es eh schon bin?«
»O Mann, Nic. Dein Selbstmitleid ist zum Heulen. Hörst du das?« Er reibt Zeigefinger und Daumen aneinander. »Das ist die kleinste Geige der Welt. Die spielt nur für dich armes Ding. Wenn du Kevin eine reinhauen willst – bitte schön. Aber sich umdrehen und davonrennen wie Bambis Mami, die von den bösen Jägern verfolgt wird, das bringt dir einen Scheißdreck.«
»Ach komm, sei du doch ruhig. Du spielst dich hier als der große Actionheld auf, ja? Dann möchte ich gern mal wissen, wieso du noch nichts unternommen hast, um an Katrina ranzukommen!«, sage ich.
Natürlich tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass sich
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