Sommerkussverkauf
zweiten Stock eines viktorianischen Gebäudes, das gegenüber einer Reihe von Billigläden lag. Als Estelle aus dem Wohnzimmerfenster auf den Videoshop, den Waschsalon, den Kiosk und das Wettbüro schaute, kam ihr der Gedanke, wie weit sie von Dauncey House entfernt war. Die Wohnung war wie Will selbst, schmuddelig und farblich unabgestimmt, aber trotz allem auf eine ganz eigene Weise ansprechend.
»Hier bitte. Eigentlich sollte es ja Champagner sein.« Will tauchte mit zwei Bechern Tee auf.
»Tee ist vollkommen in Ordnung.« Estelle nahm einen Schluck und unterdrückte einen Schauder; er hatte Zucker hineingetan.
»Tut mir leid. Mein Gott, ich bin ein hoffnungsloser Fall.« Will entriss ihr den Becher und gab ihr seinen. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass du hier bist, dass du Oliver tatsächlich verlassen hast. Es ist, als ob ein Flaschengeist mir meinen Wunsch erfüllt hätte.«
Dieses Mal schmeckte der Tee besser, aber der Becher war angeschlagen und fleckig und sah aus, als sei er nur kurz unter fließendes Wasser gehalten worden, anstatt mit einem Spülmittel Bekanntschaft zu schließen. Estelle zwang sich, tapfer den Tee zu trinken. »So viele Jahre schon und ich hatte keine Ahnung. Was für ein Mann lässt seine Geliebte und seinen Sohn im selben Dorf wohnen wie seine Familie?«
»Ein Mann, der glaubt, alles tun zu dürfen und damit durchzukommen.« Will sprach sanft.
»Genau! So einer ist Oliver. Mistkerl!«, grollte Estelle. »Nun, ich werde nicht zu ihm zurückkehren. Es ist aus und vorbei.«
»Bett«, sagte Will.
»Es ist wirklich aus und vorbei. Juliet kann ihn gern haben.«
»Bett.«
»Gott weiß, wie viele andere Frauen er noch hatte …« Estelle verstummte. »Was hast du gesagt?«
Will nahm ihr den angeschlagenen Becher aus der Hand und zog sie an sich. »Lass uns ins Bett gehen.«
Sie zitterte vor Vorfreude. »Bist du sicher?«
Er grinste. »Machst du Witze? Das ist mein zweiter Wunsch.«
»Na schön, aber ich muss dir zuerst etwas sagen.« Estelle zögerte, weil sie dieses Mal zwar nicht ihren entsetzlichen Wabenmusterslip trug, aber es dennoch ein Problem mit ihrem weniger als perfekten Körper gab. »Erwarte nicht … du weißt schon … nicht zu viel, verstanden? Ich bin fünfundvierzig Jahre alt.«
»Phantastisch«, meinte Will glücklich. »Jetzt hat sich auch noch mein dritter Wunsch erfüllt.«
Bis zum frühen Abend hatte jedermann in Ashcombe die Nachricht vernommen. Phil Jessop, der tagsüber am Empfang des Krankenhauses und abends in der Küche des
Fallen Angels
arbeitete, hatte es allen erzählt. Tiffs Zustand sah weiterhin kritisch aus. Juliet war immer noch bei ihm, ebenso Oliver.
Da in Ashcombe die Gerüchte so wild wie noch nie kursierten, war es keine Überraschung, dass Sophie Harvey das meiste davon noch vor ihrer Schlafenszeit gehört hatte.
»Ich bin vielleicht erst sieben, aber ich bin nicht dumm«, verkündete sie Jake, Maddy und Nuala, die hinter dem Snow Cottage im Garten saßen. Sie kletterte auf Jakes Schoß. »Ich habe gehört, wie Cyrus Sharp mit Theresa Birch geredet hat. Sie haben gesagt, Oliver Taylor-Trent sei Tiffs Dad, aber das kann nicht sein. Er hat Tiff noch nie etwas zu Weihnachten geschenkt.«
Jake fragte sich, wie er vorgehen sollte. Er hatte den Vortrag über die Bienen und die Blumen so lange wie möglich hinausgeschoben, aber es gab ja nicht nur den technischen Aspekt der Fortpflanzung zu bedenken. Sophie war doch erst sieben. Wie sollte man die Weihnachtsgeschenkfrage beantworten?
»Oliver ist Tiffs biologischer Vater«, eilte Nuala ihm unerwarteterweise zur Rettung. »Aber es war ein dickes Geheimnis. Niemand hat etwas davon gewusst, nicht einmal Tiff.«
»Biologisch.« Sophie runzelte die Stirn. »Das ist die Sache mit den Samen, stimmt’s?«
»Stimmt. Jedenfalls ist das auch völlig egal«, erklärte Nuala. »Wir wollen nur, dass es Tiff bald wieder besser geht.«
»Aber was, wenn nicht?« Sophies Blick kehrte zu Jake zurück. »Theresa Birch hat gesagt, dass man an Meningitis stirbt.«
»Tiff wird nicht sterben«, sagte Jake.
»Aber wenn doch, machst du dann einen Sarg für ihn?«
»Er wird nicht sterben«, wiederholte Jake. Was hätte er sonst schon sagen können?
»Du hoffst, dass er nicht stirbt«, meinte Sophie, »aber wenn doch, dann will er einen Sarg, der wie das Batmobil aussieht. Und wenn ich sterbe, dann will ich einen roten Sarg mit einer riesigen Spinne auf dem Deckel.«
»Arme Kate«, sagte Maddy,
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