Sommerkussverkauf
zurückgekommen.«
»A-aber warum?« Estelle hatte jetzt wirklich Angst. Ihre Hände krallten sich in die Tischplatte. »Was ist passiert? Du hast nicht einmal angerufen!«
Marcella schnüffelte. »Was ist das für ein Geruch?«
»O Norris, nicht schon wieder«, seufzte Kate.
»Nein, das riecht anders.« Die Schwangerschaft hatte Marcellas Sinne geschärft; sie hob den Kopf wie eine Meerkatze und schnüffelt erneut. »Es riecht nach den Desinfektionsmitteln, die in Krankenhäusern verwendet werden.«
Müde rieb sich Oliver die Augen. Estelle, die sich immer noch über die Plötzlichkeit seiner Ankunft wunderte, rief: »Krankenhaus? Bist du deswegen gekommen? Oliver, bist du krank?«
Im nächsten Moment wusste sie es irgendwie. Vielleicht war es der Ausdruck auf Marcellas Gesicht, vielleicht die Resignation in Olivers Zügen. Woran immer es lag, Estelle fühlte sich so, als ob jemand die Schwerkraft im Raum ausgeknipst hätte.
Kate war immer noch besorgt. »Dad? Was ist los?«
»Es ist Tiff Price, nicht wahr?« Estelle hörte die Worte aus ihrem Mund wie aus großer Entfernung. »Darum bist du zurückgekommen … dort bist du gewesen. Ich fasse es einfach nicht. Soll das wirklich heißen, dass er
dein
Sohn ist?«
Oliver antwortete nicht.
Kate wurde bleich vor Schock. »Dad? Ist das wahr?«
Noch mehr Stille.
»Ach, um Himmels willen!« Estelle atmete mittlerweile so schnell, dass ihre Fingerspitzen prickelten. »Natürlich ist es wahr! Wenn es nicht wahr wäre, würde er es sagen! Er ist der Vater von Tiff Price!« Sie wirbelte herum. »Haben Sie davon gewusst? Weiß es jeder im Dorf außer mir?«
»Ich habe nie etwas davon gehört.« Marcella klang besorgt. »Hören Sie, das ist eine Privatsache. Ich sollte gehen.«
»Ich habe eine bessere Idee.« Wie elektrisiert stapfte Estelle zur Tür. »Warum gehe
ich
nicht? Kommen Sie«, sagte sie zu Marcella, »Sie können mir packen helfen.«
Kate wirkte entsetzt. »Mum! Was redest du denn da?«
»Ich rede Tacheles! Warum sollte ich hier bleiben und mich öffentlich demütigen lassen!« Estelle fuhr sich hektisch mit der Hand durch die blonden Haare. »Dein Vater hat eine Geliebte und ein Kind, und beide leben hier in Ashcombe. All die Jahre hat er mich zur Idiotin gemacht …«
»Das habe ich nicht.« Endlich ergriff Oliver das Wort. »Ich habe dich nicht zur Idiotin gemacht, weil niemand etwas davon weiß. Und Juliet ist nicht meine Geliebte.«
»Ach nein? Wie außergewöhnlich!«, bellte Estelle. »Was war es dann? Künstliche Befruchtung?«
»Wir haben ein einziges Mal miteinander geschlafen«, erklärte Oliver kurz angebunden. »Dann nie wieder.«
»Na, phantastisch. Jetzt fühle ich mich gleich viel besser. Wie konntest du es wagen? Wie konntest du nur?« Estelle kämpfte immer noch damit, die Neuigkeit zu verdauen.
»So etwas passiert nun einmal. Als ich Juliet traf, wohnte sie in London. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, sie trifft keine Schuld«, sagte Oliver. »Ich hatte ihr erzählt, ich wäre geschieden.«
»Du Mistkerl!« Estelles Stimme zitterte vor Zorn. Wie konnte sie die letzten siebenundzwanzig Jahre mit einem Mann verheiratet sein, der zu so etwas fähig war?
»Du hast absolut recht. Beschimpfe mich, ich verdiene es. Aber im Moment gilt meine größte Sorge Tiff«, meinte Oliver mit schwerer Stimme.
Er war direkt aus dem Krankenhaus gekommen. Mit seinem unrasierten Kinn und der aschgrauen Haut sah er aus, als habe er seit Tagen nicht geschlafen. Estelle erinnerte sich, wie sie sich gefühlt hatte, als der Anruf aus Amerika kam, der sie von Kates Autounfall in Kenntnis setzte. Prompt bekam sie Gewissensbisse.
Neben ihr fragte Marcella leise: »Wie geht es ihm?«
Oliver sah aus, als müsse er sich sehr bemühen, normal zu atmen. »Er lebt noch. Und bessere Nachrichten gibt es nicht. Sollte eine Blutvergiftung einsetzen, müssen sie womöglich Arme und Beine amputieren.«
O Gott, der arme Kleine. In Estelles Hals bildete sich allein bei dem Gedanken ein dicker Kloß.
»Ich bin nur gekommen, um zu duschen und mich umzuziehen«, fuhr Oliver fort.
»Richten Sie Juliet aus, dass wir alle für Tiff beten.« Marcellas dunkle Augen waren feucht vor Mitgefühl.
Oliver rieb sich das Gesicht und nickte ihr zu. »Das werde ich.«
40 . Kapitel
»Das ist nicht fair«, tobte Estelle. »Es ist nicht fair! Er tut so, als habe ich nicht das Recht, mich aufzuregen, nur weil Tiff krank ist. Er lässt durchblicken, dass ich selbstsüchtig
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