Sommerkussverkauf
Leben lang noch nie gesagt. Und du bist Schuld, wenn ich zu spät zur Arbeit komme.«
»Tut mir leid, ich höre schon damit auf.«
»Hör nicht auf.«
»Nein, nein.« Estelle bewegte ihre Hüften und erklärte ernsthaft: »Du darfst auf keinen Fall zu spät zur Arbeit kommen. Zieh dich jetzt an …«
»Hör nicht auf.«
Estelle schüttelte den Kopf. »Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn du Schwierigkeiten bekommst.«
»Pst«, murmelte Will. Mit einem breiten Lächeln lehnte er sich in die Kissen zurück.
»Hör nicht auf …«
Als Will hinterher zur Arbeit eilte, nahm Estelle das Telefon zur Hand und rief Kate an.
War sie nur einhundert Meilen weit von Ashcombe entfernt? Es fühlte sich wie eine Million Meilen an. Klugerweise dachte sie daran, ihre eigene Nummer zu unterdrücken.
»Mum?« Kate klang erleichtert, als sie ihre Stimme hörte. »Mum, wo bist du? Geht es dir gut?«
»Es geht mir gut, Liebes.« Estelle achtete darauf, nicht den Anschein zu vermitteln, als ginge es ihr allzu gut; sie wollte tapfer angesichts von Widrigkeiten klingen, nicht begeistert über ihr Leben mit einem hingebungsvollen, jüngeren Mann.
»Kommst du jetzt nach Hause?«
»Nein.«
»Wo bist du?«
»In einem Hotel. Wie geht es Tiff?« Sie musste einfach fragen.
»Immer noch sehr schlecht.«
»Und Marcella?«
Kate wurde etwas munterer. »Ach, Marcella geht es gut. Sie ist jetzt ganz scharf auf Schokolade.«
»Tja, das ist doch gar nicht so übel.«
»Sie tunkt sie in Senf.«
Estelle hielt das immer noch für eine Verbesserung im Vergleich zu eingelegten Walnüssen. »Wie geht es Norris?«
»Fett, gierig, sabbert viel. Ziemlich genauso wie Dexter.« Kate schwieg. »Willst du dich gar nicht nach Dad erkundigen?«
»Nur zu.« Estelle war argwöhnisch.
»Ich habe ihn nicht gesehen. Er ist immer noch im Krankenhaus. Aber wenn er hier wäre, würde ich nicht mit ihm reden. Er hat sich wie ein Trottel verhalten. Und wo wir gerade von Trotteln sprechen«, wechselte Kate abrupt das Thema, »Will Gifford war gestern hier. Ich schwöre, er hält sich für Hugh Grant. Er trug einen schrecklichen Pulli mit Mottenlöchern.«
Estelles Blick wanderte schuldbewusst zu dem fraglichen Pulli, der jetzt auf dem Stuhl in der Ecke des Schlafzimmers lag. Sie hatte ihn persönlich in der vergangenen Nacht von Wills mehr als willigem Körper gezogen.
Also gut, Konzentration. »Was hat er gesagt?«
»Ach, er hat so getan, als sei er geschockt.« Kate klang verächtlich. »Aber er war begeistert, das merkte man gleich. Hat mich im Pub interviewt und ist dann ins Krankenhaus gefahren, um Dad zu sprechen. Vermutlich kann man ihm keinen Vorwurf machen, er ist schließlich Journalist. Und diese Sache wird seinen langweiligen Dokumentarfilm mächtig aufwerten.«
Estelle biss sich auf die Lippe. Das stimmte wahrscheinlich. Man konnte Will keinen Vorwurf machen, wenn er insgeheim entzückt darüber war, wie sich alles entwickelt hatte – zum Wohle des Films, wenn zu sonst nichts.
»Mum? Norris vermisst dich sehr.«
»Wirklich?« Estelle brachte ein unsicheres Lächeln zustande. Wie absolut lächerlich, Norris gehörte nicht einmal ihnen.
»Ich vermisse dich auch«, sagte Kate.
»Ach Liebes …« Überwältigt presste Estelle die Hand an den Hals.
43 . Kapitel
Estelle legte das Telefon beiseite und weinte ein wenig. Ihr Leben veränderte sich so rasch, dass sie es auch nicht annähernd in den Griff bekommen konnte. Es war Mittag, das Wetter war herrlich, und sie würde ein paar Stunden nach draußen gehen.
Keine Kissen mehr
, hatte Will befohlen, als er sich auf den Weg zur Arbeit gemacht hatte. Na schön, aber sie könnte Lebensmittel für das Abendessen kaufen. Lamm, beschloss Estelle, als sie zur Dusche ging. Will hatte ihr Lamm immer geliebt. Eine umwerfende Lammkeule, viel frisches Gemüse, knusprige Bratkartoffeln mit Knoblauch …
Und dann wahrscheinlich herrlicher Sex.
Gefolgt von belgischem Trüffeleis, dachte Estelle glücklich.
Und dann noch mehr Sex.
»Hallo, kann ich Ihnen helfen?«
Estelle angelte gerade nach ihrem Hausschlüssel, während sie mit der anderen Hand krampfhaft versuchte, ihre Handtasche und vier übervolle Einkaufstüten festzuhalten. Beim Klang der freundlichen Stimme hinter ihr wirbelte Estelle herum. Sie wusste, dass man nach London fuhr, wenn man am helllichten Tag ausgeraubt werden wollte, aber diese Stimme klang eigentlich nicht so, als ob sie zu einem Räuber gehöre. Zum einen war
Weitere Kostenlose Bücher