Sommerkussverkauf
nicht weiter überraschte. Ihre Mutter hatte Besuch, wie man aus dem lauten Gelächter, den knallenden Türen und dem Klacken von Pfennigabsätzen auf dem Parkettboden schließen konnte.
Schließlich hörte Kate, wie Estelle die Treppe hochkam und etwas rief.
Kate stöhnte und rollte sich auf den Rücken. Sie zuckte zusammen, als ihr ein Sonnenstrahl durch das Schlafzimmerfenster in die Augen fiel. Aber es war sinnlos, ihre Mutter zu ignorieren; wenn sie auf eine Reaktion aus war, konnte sie so hartnäckig wie der Journalist Jeremy Paxman sein.
Als die Schlafzimmertür aufschwang, meinte Kate müde: »Was willst du?«
»Ich habe eine Überraschung für dich! Komm schon, Schatz, zieh dir etwas an und komm in die Küche. Du wirst begeistert sein, glaub mir.«
Kate bezweifelte das.
»Wer ist unten?« Bislang hatte sie Marcella Harvey erfolgreich aus dem Weg gehen können, schlicht und einfach indem sie bis in den späten Nachmittag im Bett blieb.
»Niemand.«
»Ich habe Lärm gehört. Und Stimmen.«
Estelle wirkte ausgesprochen selbstgefällig. »Ach, das war Barbara Kendall. Sie ist gegangen. Komm schon, Schatz. Ich kann es kaum erwarten, es dir zu zeigen!«
Kate kroch missmutig aus dem Bett und zog ein graues T-Shirt und weite Jogginghosen an. Wenn das Haus leer war, musste sie sich wenigstens keine Mühe mit dem Make-up geben.
Ihre Mutter stieß triumphal die Tür zur Küche auf. Kate hatte es daraufhin nicht nur mit einem, sondern gleich zwei unwillkommenen Anblicken zu tun. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. »Großer Gott, was ist das?«
Das Ding, das auf sie zukam, war dunkelbraun, knuffig und furchtbar fett. Seine Krallen kratzten über den Fliesenboden, während sein Stummelschwanz vor Erregung vibrierte. Maddy Harveys Mutter saß auf einem der Küchenstühle und hing am anderen Ende der Leine.
»Ist er nicht wunderbar?«, rief Estelle. »Er heißt Norris!«
Norris, die Bulldogge. »Er ist fett«, erklärte Kate. »Und ich dachte, du hättest versprochen, es sei niemand hier.« Sie vermied es, Marcella anzusehen, als sie das sagte, war sich aber des gleißenden Sonnenlichts auf ihrem ungeschminkten Gesicht schmerzlich bewusst.
»Schatz, ich sagte nur, dass Barbara gegangen ist. Marcella ist keine Besucherin, sie gehört zur Familie.«
Familie, auch das noch. Kate biss sich auf die Zunge. Jetzt wusste sie, dass ihre Mutter allmählich verblödete.
»Hallo, Kate. Es ist lange her«, meinte Marcella unbekümmert und stand auf. »Lass dich mal anschauen. Dann haben wir diese Peinlichkeit hinter uns.«
»Gute Idee«, sagte Estelle. »Ich nehme so lange Norris.«
Nimm Norris und ersäufe ihn in einem Eimer, dachte Kate, die kaum glauben konnte, dass sie hier wie eine Skulptur in einer verdammten Galerie stand und zuließ, wie Marcella Harvey ihr Gesicht von allen Seiten betrachtete. Wie Estelle denken konnte, das hier sei eine gute Idee. Die Frau war eine Angestellte, die das Haus putzen sollte, alles, was recht war!
»Tja, ich bin nicht schreiend aus dem Zimmer gelaufen«, sagte Marcella zu guter Letzt. »Alles in allem ist es einfach eine vernarbte Stelle.«
Einfach eine vernarbte Stelle. Kate hätte ihr am liebsten eine geknallt.
»Du kannst von Glück sagen, dass du das Auge nicht verloren hast«, meinte Marcella. Als sie den aufmüpfigen Blick von Kate sah, lächelte sie. »Ist schon gut, ich weiß, dass es nichts Ärgerlicheres gibt, als wenn man zu hören bekommt, man solle für das Gute im Leben dankbar sein. Ich meine ja nur, dass es dich nicht verändert hat.«
Natürlich hat es mich verändert, du dämliche, alte Schachtel, es hat
alles
verändert.
»Es wird dich nur verändern, wenn du es zulässt«, fuhr Marcella fort. »Und das wäre wirklich schade. Du bist immer noch eine schöne junge Frau.« Kate zuckte zusammen, als Marcella den Arm ausstreckte und ihr Gesicht streichelte, erst die eine Seite, dann die andere. »Wer das nicht sieht, ist es nicht wert, dass du dich mit ihm abgibst.«
Entsetzt wurde Kate klar, dass sie urplötzlich kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Marcellas sanfte Finger und ihr nüchterner Tonfall gingen ihr an die Substanz. Natürlich redete sie absoluten Unsinn, aber wenigstens war es mal etwas anderes als dieses endlose Mitleid.
Kate fragte sich, ob Maddy Marcella von dem Zwischenfall im Pub erzählt hatte, und kam zu dem Schluss, dass dem nicht so war. Marcellas Loyalität gegenüber ihrer Familie war legendär. Kate riss sich
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