Sommerliches Schloßgewitter
Erfrischungen zu reichen. Der Oberkellner näherte sich dem Handgemenge wie ein homerischer Gott aus den Wolken und versuchte, Ronnie seinen Standpunkt klarzumachen. Unterstützt wurde er dabei in Wort und Geste von zwei Tischkellnern, Kellner A und Kellner B.
Ronnie stand der Sinn nicht nach Konversation. Er boxte den Oberkellner in den Magen und Kellner A in die Rippen und wollte sich gerade des Kellners B entledigen, als sein Handlungsspielraum durch die plötzliche Ankunft von Verstärkung eingeengt wurde. Aus allen Teilen des Lokals waren Kellner zusammengeströmt, darunter die Kellner C, D, E, F, G und H, und Ronnie sah sich bedrängt. Ihm war, als sei er in eine Generalversammlung der Kellner Englands geraten: Kellner, so weit das Auge reichte, und es wurden immer mehr. Von Pilbeam war nichts mehr zu sehen, aber Ronnie war jetzt so beschäftigt, daß er ihn nicht einmal vermißte. Er befand sich inzwischen in der Verfassung eines Menschen, den die alten Wikinger als »Berserker« bezeichneten und der im Malayischen als »Amokläufer« bekannt ist.
Im Lauf seines Lebens hatte Ronnie Fish schon mancherlei Ziele angestrebt. Als kleiner Junge wollte er unbedingt Lokomotivführer werden. Während der Schulzeit war ihm die Laufbahn des professionellen Cricketspielers als die verlockendste der Welt erschienen. Später hatte er dann gehofft, einen gutgehenden Nachtclub zu besitzen. Aber jetzt, im Alter von sechsundzwanzig Jahren, war das alles vergessen. Jetzt gab es für ihn nur noch eines, was sich wirklich lohnte, nämlich Kellner zu massakrieren, und dieser Aufgabe widmete er sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft.
Es ging nun alles sehr schnell. Kellner C, der voreilig Ronnies Ärmel ergriffen hatte, taumelte zurück, eine Hand auf sein rechtes Auge drückend. Kellner D, ein Familienvater, begnügte sich damit, abseits zu stehen und auf italienisch zu lamentieren. Kellner E jedoch, aus härterem Holz geschnitzt, versetzte Ronnie einen Schlag mit einem Tablett mit Omelette aux champignons, und während dieser noch benommen wankte, tauchte plötzlich inmitten des Getümmels eine schmuck uniformierte Gestalt auf, die fast völlig hinter einem gewaltigen gezwirbelten und gewachsten Schnurrbart verschwand. Es war dies der Portier, und jeder, der schon einmal aus einem Restaurant hinausgeworfen worden ist, weiß, daß Portiers schwere Brocken sind.
Dieser hieß McTeague und hatte, bevor er seine gegenwärtige Stellung antrat, ein lustiges Soldatenleben geführt. Er hatte ein Nußknackergesicht aus Hartholz und Muskeln wie ein Dorfschmied. Er war eher ein Mann der Tat als des Wortes, und stumm bahnte er sich eine Schneise durch die Menge. Erst als er im Auge des Orkans angelangt war, sprach er. Das war, als Ronnie, der zu diesem Zweck auf einen Stuhl gestiegen war, ihm eins auf die Nase gab. Da sprach dieser Mann bedächtig »Ho!« und nahm Ronnie dann unverzüglich in einen stählernen Schwitzkasten, in dem er ihn der Tür zuführte, wo sich jetzt ein großer, gutmütiger Polizist zeigte.
4
Ein paar Minuten waren vergangen, als Hugo Carmody die Telefonzelle im Souterrain neben der Cocktailbar verließ und in den Tanzsaal zurückschlenderte, wo er überrascht bemerkte, wie sich Kellner schmerzende Gliedmaßen massierten oder umgestürzte Tische aufstellten, während Leopold und seine Combo etwas verhalten spielten wie eine Combo, die Unglaubliches miterlebt hat.
»Nanu?« sagte Hugo. »Ist was?«
Er sah Sue fragend an. Sie kam ihm vor wie ein Mädchen, das einen Schock erlitten hat. Wenn ihn nicht alles trog, war sie gar nicht mehr heiter gestimmt.
»Was ist denn?« fragte er.
»Bring mich heim, Hugo!«
Hugo sah sie groß an.
»Heim? Jetzt schon? Der Abend hat doch erst angefangen?«
»Bitte, Hugo, bring mich heim. Schnell!«
»Wenn du meinst«, sagte Hugo liebenswürdig. Er war jetzt sicher, daß irgendwas los war. »Ich zahle nur schnell, und dann geht’s ab die Post nach Hause. Und unterwegs erzählst du mir dann alles. Denn ich weiß genau«, sagte Hugo, der sehr stolz war auf seine Beobachtungsgabe, »daß irgendwas los ist oder war.«
Anruf für Hugo
Die Mühlen der britischen Justiz mahlen erbarmungslos, und wenn sie erst einmal in Gang gesetzt sind, zählen nicht mehr Ursachen, sondern nur noch Tatsachen. Zerschlagene Hoffnungen sind dann keine Entschuldigung mehr für zerschlagene Glaswaren, und wer »Hiebe« in der Hoffnung auf Strafmilderung mit »Liebe« reimen will, wird nicht
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