Sommerliches Schloßgewitter
Sie einen Finger krumm zu machen brauchen.«
Sues Augen leuchteten. Das hatte Pilbeam erwartet. Er konnte sich gar nicht vorstellen, daß bei einem solchen Angebot die Augen eines Mädchens nicht leuchten würden.
»Wirklich?« sagte Sue.
»Fünfzig Pfund«, wiederholte Pilbeam. »Wir machen halbehalbe.«
»Und wenn ich nicht tue, was Sie wollen, dann erzählen Sie allen, wer ich wirklich bin?«
»Exakt«, sagte Pilbeam, zufrieden mit ihrer Auffassungsgabe.
»Aha. Ich werde nichts dergleichen tun.«
»Was!«
»Und falls Sie«, sagte Sue, »diesen Leuten erzählen wollen, wer ich bin, dann tun Sie’s doch.«
»Das werde ich auch.«
»Bitte sehr. Aber vergessen Sie eins nicht: Sobald Sie das tun, werde ich Mr. Threepwood erzählen, daß Sie es waren, der damals diese Sachen über ihn in ›Gesellschaftsgeflüster‹ geschrieben hat.«
Percy Pilbeam schwankte wie ein Halm im Winde. Es hatte ihm den Atem verschlagen. Er wußte nicht, was er antworten sollte.
»Ehrenwort.«
Pilbeam blieb sprachlos. Er versuchte noch immer, sich von dem Todesstoß zu erholen, der ihn unversehens durch einen Spalt in seiner Rüstung getroffen hatte, als sich plötzlich eine Gelegenheit bot zu sprechen. Millicent war aufgetaucht und näherte sich ihnen auf der Terrasse. Ihre Miene war gramvoll wie immer. Sie blieb bei ihnen stehen.
»Tag«, sagte Millicent mit Grabesstimme.
»Tag«, sagte Sue.
Das Bibliotheksfenster umrahmte Kopf und Schultern von Lord Emsworth.
»Pilbeam, mein Lieber, kommen Sie rauf in die Bibliothek. Ich habe die Fotos gefunden.«
Millicent verfolgte den Abgang des Detektivs mit finsterer Neugierde.
»Wer ist das?«
»Ein Mann namens Pilbeam.«
»Ein häßlicher Name. Warum watschelt der Kerl so?«
Sue vermochte sie darüber nicht aufzuklären. Millicent stellte sich neben sie, lehnte sich auf die Brüstung und starrte mißbilligend in den Park hinaus. Sie schien alle Parks zu verabscheuen, aber diesen hier ganz besonders.
»Schon mal Schopenhauer gelesen?« fragte sie nach einer Weile.
»Nein.«
»Sollten Sie aber. Schreibt fabelhaftes Zeug.«
Sie verfiel wieder in düsteres Schweigen, und ihre Augen bohrten sich in die hereinbrechende Finsternis. Irgendwo im Dämmerlicht hatte eine Kuh begonnen, anhaltend und herzzerreißend zu brüllen. Aller Jammer dieser Erde schien in diesem Brüllen zusammengefaßt zu sein.
»Schopenhauer sagt, daß das Leid in der Welt kein Zufall sein kann. Es muß beabsichtigt sein. Er sagt, das Leben sei eine Mischung aus Leid und Langeweile. Entweder hat man das eine, oder man hat das andere. Er schreibt lauter solche spritzigen Sachen. Sie hätten Ihre Freude daran. Na, ich mache noch einen kleinen Spaziergang. Kommen Sie mit?«
»Vielen Dank, aber ich glaube nicht.«
»Wie Sie wollen. Schopenhauer sagt, Selbstmord ist völlig O.K. Er sagt, bei den Hindus ersetzt er den Kirchgang. Sie hopsen in den Ganges und lassen sich von Krokodilen auffressen und finden gar nichts dabei.«
»Sie scheinen ja eine Menge über Schopenhauer zu wissen.«
»Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit ihm befaßt. In der Bibliothek war eine Ausgabe. Schopenhauer sagte, wir sind wie Lämmer auf der Weide, die unter den Augen des Schlächters umhertollen, der sich seine Opfer eins nach dem andern greift. Wollen Sie wirklich nicht mitkommen?«
»Nein, wirklich, vielen Dank. Ich werde hineingehen.«
»Wie Sie wollen«, sagte Millicent. »Jeder nach seiner Façon.«
Sie ging ein paar Schritte und kam dann zurück.
»Tut mir leid, wenn ich überspannt wirke«, sagte sie. »Mir liegt was auf der Seele. Habe viel darüber nachgedacht. Ich habe mich nämlich gerade mit meinem Vetter Ronnie verlobt.«
Die Bäume, die gegen die schweren Nachtwolken aufragten, schienen vor Sues Augen zu verschwimmen. Eine unsichtbare Hand legte sich um ihren Hals und würgte sie.
»Ronnie!«
»Ja«, sagte Millicent mit einer Stimme wie Schopenhauer, der eine Raupe in seinem Salat entdeckt hat. »Wir haben es gerade beschlossen.«
Sie wandelte von dannen, und Sue klammerte sich an der Brüstung fest. Die war das einzige Feste in einer Welt, die rings umher wankte und zusammenbrach.
»Ahem!«
Das war Hugo. Sie konnte ihn zwar nur wie durch einen Schleier wahrnehmen, aber Hugo konnte man nicht verwechseln.
»Hat sie’s dir gesagt?«
Sue nickte.
»Sie hat sich verlobt.«
Sue nickte.
»Sie will Ronnie heiraten!«
Sue nickte.
»Tod, wo ist dein Stachel?« sagte Hugo und verlor sich in derselben
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