Sommerliches Schloßgewitter
erholt. »Aufgegeben in Paris.«
»Wo?«
»Paris, Frankreich.«
»Ach? … Und weiter?«
Die Stimme war jetzt laut und klar.
»›Bedaure schlechte Nachrichten …‹«
»Wie bitte?«
»›Nachrichten.‹«
»Weiter.«
»›Bedaure schlechte Nachrichten Stop Verstehe vollkommen Stop Späterer Besuch leider unmöglich da abreise Amerika Monatsende Stop Hoffe sehr auf Wiedersehen nächstes Jahr Stop Grüße Stop!‹«
»Und …?«
»Gezeichnet ›Myra Schoonmaker‹.«
»Gezeichnet wie?«
»Myra Schoonmaker.«
Baxters Unterkiefer fiel herab. Die Stirn über der Brille legte sich in Falten, und die Augen hinter der Brille weiteten sich in namenlosem Entsetzen.
»Soll ich wiederholen?«
»Wie bitte?«
»Soll ich den Text wiederholen?«
»Nein«, ächzte Baxter.
Er legte auf. Ihm war, als krieche etwas Kaltes seinen Rücken hinunter. Er war wie betäubt.
Myra Schoonmaker! Telegrafierte aus Paris!
Aber wer war dann das Mädchen, das hier im Schloß wohnte und sich auch so nannte? Eine Hochstaplerin, eine Betrügerin. Es gab keinen Zweifel.
Und wenn er Anstalten machte, sie zu entlarven, würde sie als Rache Lord Emsworth diesen Brief zeigen.
In seiner ersten Aufregung war Baxter aufgesprungen. Jetzt sank er in den Sessel zurück.
Dieser Brief …!
Er mußte ihn unbedingt wiederbeschaffen, und zwar sofort. Solange der Brief sich im Besitz dieses Mädchens befand, war er eine bedrohliche Waffe gegen ihn. Hatte Lord Emsworth erst einmal die darin enthaltene freimütige Kritik an seiner Person zu Gesicht bekommen, dann konnte ihm auch seine Verbündete, Lady Constance, nicht mehr zu Sekretärsehren verhelfen. Der neunte Earl war zwar ein sanftmütiger Mann, gewohnt, sich den Anordnungen seiner Schwester zu fügen, aber auch seine Sanftmut hatte Grenzen.
Und Baxter lechzte danach, auf Blandings Castle wieder seine einstige Stellung zu bekleiden. Blandings war seine geistige Heimat. Er hatte schon andere Sekretärsstellen innegehabt – und er hatte auch jetzt eine inne, die ihm übrigens viel mehr einbrachte, als Lord Emsworth ihm je würde zahlen können –, aber nirgendwo sonst hatte er dieses erhebende Gefühl verspürt, Macht und Einfluß zu besitzen und die Geschicke eines der vornehmsten Häuser Englands zu lenken.
Dieser Brief mußte wieder her, koste es, was es wolle. Und der jetzige Augenblick, fiel ihm ein, war für sein Vorhaben äußerst günstig. Das Ding mußte irgendwo im Zimmer dieses Mädchens stecken, und während der nächsten ein bis zwei Stunden würde sie im Speisesaal sitzen. Er hatte also reichlich Zeit für die Suche.
Er fackelte nicht lange. Dreißig Sekunden später schon klomm er die Treppe hinauf mit einem entschlossenen Zug um den Mund und verwegen blitzenden Brillengläsern. Eine Minute später hatte er sein Ziel erreicht. Es stand kein Engel mit dem Flammenschwert auf der Schwelle, um ihm den Eintritt zu verwehren. Die Tür war nur angelehnt. Er stieß sie auf und trat ein.
2
Wie die meisten Schlösser dieser Größe und Bedeutung besaß auch Blandings Castle Schlafzimmer, die so prunkvoll waren, daß nie jemand darin wohnte. Mit ihren Himmelbetten und den prächtigen, aber reichlich düsteren Wandbehängen waren sie nicht mehr benutzt worden, seit die reiselustige Königin Elizabeth I. bei einer ihrer Stippvisiten darin genächtigt hatte. Von den Gästezimmern, die noch in Gebrauch waren, war jenes, das man Sue gegeben hatte, das luxuriöseste.
Gerade als Baxter sich hineinstahl, wirkte es durch das milde Abendlicht besonders schön. Aber Baxter hatte jetzt keinen Blick für Sehenswürdigkeiten. Er beachtete weder die Schnitzereien des Bettes noch die gemütlichen Sessel, die Bilder, die Stuckverzierungen oder den schönen weichen Teppich unter seinen Füßen. Dem schönen Abendhimmel, der durch die Balkontür zu sehen war, schenkte er nur einen flüchtigen Blick. Ohne Umschweife ging er auf den Sekretär zu, der an der Wand beim Bett stand. Er schien ihm ein geeigneter Ausgangspunkt für seine Suchaktion.
Der Sekretär hatte diverse Fächer, in denen Briefpapier, Postkarten, Umschläge und Telegrammformulare lagen und sogar ein kleiner Block, auf dem der jeweilige Gast vermutlich allfällige Gedanken und Reflexionen notieren sollte, die ihm kurz vor dem Einschlafen noch durch den Kopf gehen mochten. Aber nirgendwo lag der fatale Brief.
Er richtete sich auf und sah sich im Zimmer um. Als nächstes bot sich die Schublade in der Frisierkommode an. Er wandte sich
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