Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
bin der älteste Berater des Sommerkönigs und …« Tavish verstummte, als ihm bewusst wurde, dass er Nialls Meinung mit dieser Äußerung nur weiter untermauerte. »Dann versuch es eben erst auf die Art, die der junge Mann dir vorschlägt, mein König.«
Und mit makelloser Würde, die ihn umgab wie ein schützender Mantel, zog Tavish sich ins Arbeitszimmer zurück.
Keenan beobachtete seinen Rückzug mit großem Bedauern. »Eines Tages wird er sich für deine Unverschämtheiten rächen. Er ist immer noch ein Sommerelf, Niall.«
»Schön. Dann sollte er aber auch mal ein bisschen Leidenschaft in seinen alten Knochen mobilisieren.« Nialls Humor verflog und machte der Lebensklugheit Platz, die ihn während der letzten Jahrhunderte als Keenans Berater ebenso unersetzlich gemacht hatte wie Tavish. »Sommerelfen sind für große Leidenschaften gemacht. Wenn er sich nicht endlich mal locker macht, werden wir ihn an Sorchas Hof des Lichtes verlieren.«
»Die Suche geht ihm an die Nieren. Er sehnt sich zurück zu den Zeiten, als mein Vater König war.« In ebenso trüber Stimmung wie Tavish schaute Keenan zu dem Park auf der anderen Straßenseite hinunter.
Einer seiner Ebereschenmänner salutierte.
»Und als es allen Sommerelfen noch gutging«, fügte Keenan mit einem Blick auf Niall hinzu.
»Dann umwirb dieses Mädchen. Mach, dass alles wieder gut wird.«
Keenan nickte. »Du sagst, ich soll mich ihr ganz beiläufig nähern, als wollte ich mich nur mit ihr anfreunden?«
Niall stellte sich neben ihn ans Fenster und starrte auf die schon jetzt mit Raureif bedeckten Äste hinunter – ein weiterer Beweis dafür, dass es nicht mehr viele Jahrhunderte dauern würde, bis alle Sommerelfen verschwunden waren, wenn sie Beiras immer weiter wachsender Macht keinen Einhalt geboten. »Und schenke ihr einen aufregenden Abend, zeig ihr mal was ganz Neues, überrasche sie.«
»Wenn ich sie nicht bald finde …«
»Das wirst du«, versicherte Niall ihm, womit er dieselben Worte wiederholte, die er schon fast ein Jahrtausend lang in dieser Situation sagte.
»Ich muss sie finden. Aber ich weiß nicht, ob …«, Keenan holte tief Luft, »ich sie finden werde . Vielleicht ist sie es ja.«
Niall lächelte nur.
Aber Keenan war nicht sicher, ob überhaupt noch irgendeiner von ihnen daran glaubte. Er wollte es gern glauben, aber das wurde von Mal zu Mal schwieriger, wenn dieses Spiel von neuem eingeläutet wurde.
Seit die Winterkönigin seine Macht beschränkt hatte – indem sie ihm den Zugang zu vielen Kräften des Sommers verwehrte und die Erde stetig immer weiter mit Frost überzog –, hatte sich eine immer größere Hoffnungslosigkeit unter seinen Elfen ausgebreitet. Auch wenn er stärker war als die meisten anderen Elfen, war er doch weit davon entfernt, der König zu sein, den sie brauchten, ein König, wie sein Vater einer gewesen war.
Bitte lass Ashlyn die Richtige sein.
Dreizehn
»Alles an ihnen ist unberechenbar …
Ihre Hauptbeschäftigungen sind
Feiern, Kämpfen und die körperliche Liebe.«
William Butler Yeats: Elfen- und Volksmärchen
der irischen Landbevölkerun g (1888)
Nachdem das Taxi sie am Güterbahnhof abgesetzt hatte, lief Ashlyn vor Seths Tür auf und ab. In der Nähe standen einige Elfen, die sie beobachteten und sich unterhielten. So dicht neben alten Waggons und Bahngleisen blieben sie nie lange stehen, aber wenn sie gingen, würden andere an ihre Stelle treten. Seit dem Tag, an dem Keenan sie im Comic-Laden zum ersten Mal angesprochen hatte, scharten sich Elfen um sie, wo sie auch hinging.
»Sie gibt sich zu viel mit dem Sterblichen ab«, grummelte ein schlaksiger Elf mit vogelähnlichen Gliedmaßen. »Der Sommerkönig sollte sich das nicht bieten lassen.«
»Die Zeiten ändern sich eben«, hielt eine der weiblichen Elfen dagegen. Über ihre Haut krochen – wie bei den anderen auch – blühende Ranken, aber während ihre Freundinnen offenbar mädchenhafte Kleidung bevorzugten, trug sie einen schieferfarbenen Hosenanzug. Die Ranken schlängelten sich vom Hals abwärts durch ihre knöchellangen Haare und ließen sie zugleich irgendwie wild und mondän aussehen.
»Sie geht jeden Tag zu ihm nach Hause.« Der vogelähnliche Elf umkreiste die Elfe wie ein Raubtier. »Was macht sie da?«
»Ich weiß, was ich dort tun würde«, erwiderte sie mit einem durchtriebenen Grinsen und griff mit beiden Händen nach seinem Gesicht. »Und vielleicht tue ich es ja auch, wenn sie erst für alle
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