Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
König. Er streckte die Arme aus, als wollte er sie umarmen. »Ashlyn!«
Sie wich ihm geschickt aus.
»Ich bin ja so froh, dass du gekommen bist.« Keenan schien das absolut ernst zu meinen.
Ashlyn zuckte ratlos die Achseln. Was sollte sie darauf erwidern?
»Wollen wir?« Er bot ihr seinen Arm an, als wären sie auf einem Ball.
»Ja, klar.« Sie ignorierte den Arm – ebenso wie seinen irritierten Blick – und folgte ihm in das Labyrinth von Schaubuden, die anscheinend über Nacht aus dem Boden geschossen waren.
Überall schoben sich Leute durch die Gassen, es herrschte ein unglaubliches Gedränge. Wo man hinschaute, waren Familien und Paare in Spiele vertieft. Viele von ihnen tranken süß riechende Getränke – eine Art goldenen, dickflüssigen Nektar.
»Du bist so …«, er starrte sie an und schenkte ihr sein überirdisches Lächeln. »Ich fühle mich so geehrt, dass du mitgekommen bist.«
Ashlyn nickte, als wäre ganz normal, was er sagte. War es aber nicht. Das ist doch lächerlich. Sie fühlte sich zunehmend unbehaglich mit seinen übertriebenen Schmeicheleien.
Neben ihr versuchte eine Gruppe von Mädchen, winzige Plastikbälle auf Glastabletts zu werfen. Hoch über den Köpfen der Menge funkelten die Lichter des Riesenrades. Die Leute lachten und drängten sich eng aneinander, während sie vorbeigingen.
Dann nahm Keenan ihre Hand, und plötzlich wurde ihre Sehergabe so stark, dass ihr der Atem stockte.
Überall, wo sie hinschaute, verblassten die Menschenzauber. Die Betreiber der Schaubuden, Imbissstände und Karussells … Sie sind alle Elfen . Sämtliche Schausteller und auch viele der Besucher waren Elfen. Oh, mein Gott. Noch nie hatte sie so viele von ihnen auf einmal gesehen.
Egal, wo sie hinschaute, überall lächelten sie als Menschen getarnte Elfen wohlwollend und fröhlich an. Wieso tragen so viele von ihnen menschliche Gesichter?
Auch einige richtige Menschen liefen herum, spielten manipulierte Spiele und fuhren auf klapprigen Karussells, aber die schauten die Elfen nicht an. Alle Augen waren nur auf sie gerichtet.
Keenan winkte einer Gruppe von Elfen zu, die ihm etwas zugerufen hatten. »Alte Freunde von mir. Möchtest du sie kennenlernen?«
»Nein.« Sie nagte an ihrer Unterlippe und sah sich erneut beklommen um.
Er runzelte die Stirn.
»Zumindest im Augenblick nicht.« Sie zwang sich zu lächeln und hoffte, dass er ihre Nervosität einfach für Schüchternheit halten würde. Beherrschung . Sie holte tief Luft. »Ich dachte, wir wollten uns kennenlernen«, sagte sie betont freundlich.
»Gern.« Er lächelte, als hätte sie ihm eine seltene Kostbarkeit geschenkt. »Was soll ich dir erzählen?«
»Mmh, etwas über deine Familie?« Ashlyn stolperte; ihre Beine waren genauso zittrig wie ihr Atem.
»Ich lebe bei meinen Onkeln«, begann er und führte sie an einigen Elfen vorbei, die vor einer Minute noch so ausgesehen hatten, als könnten sie auf die Bishop O. C. gehen.
Mehrere von ihnen zeigten in ihre Richtung, doch keiner kam näher. Im Gegenteil, alle machten ihnen Platz, als Keenan sie zu einer Reihe von Buden führte, in denen die Elfen Jahrmarktspiele betrieben.
»Bei deinen Onkeln?«, wiederholte sie, während sie langsam das Gefühl beschlich, dass es unklug gewesen war hierherzukommen. Sie machte ihre Hand los. »Ach ja, die Typen, die in der Schule waren.«
Elfen. Fast alle hier sind Elfen. Ihr wurde schwindlig.
Sie nahm einen neuen Anlauf: »Und was ist mit deinen Eltern?«
»Mein Vater ist vor meiner Geburt gestorben …«, er verstummte, schien jedoch nicht traurig, sondern aufgebracht zu sein. »Aber ich verdanke ihm alles, was ich bin.«
Können Elfen überhaupt sterben? Sie war unsicher, wie sie auf seine merkwürdige Äußerung reagieren sollte. »Meine Mutter ist auch gestorben. Bei meiner Geburt«, sagte sie dann einfach.
»Das tut mir leid.« Er nahm erneut ihre Hand, drückte sie liebevoll und verschränkte seine Finger mit ihren. »Ich bin sicher, sie war ein guter Mensch. Und sie muss hübsch gewesen sein, wenn sie deine Mutter war.«
»Ich sehe ihr nicht besonders ähnlich.« Ashlyn schluckte schwer. Fotos waren das Einzige, was sie von ihr besaß. Auf den Bildern, die bei Grams zu Hause hingen, sah ihre Mutter aus, als stünde sie kurz vor dem Wahnsinn, als käme sie mit dem, was sie sehen konnte, nicht zurecht. Grams sprach nie über das letzte Lebensjahr ihrer Mutter, als hätte es nie stattgefunden.
»Und was ist mit deinem Vater?
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