Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
auf – die Tierchen spazierten inzwischen herum, als wären sie lebendig. »Hab ich’s dir nicht gesagt, Cerise?«, sagte sie und nahm das nächste Blatt, um es zu falten. »Wenn sie schon verliebt sind, kannst du mit der Nummer nicht landen.«
Ashlyn ließ die zudringliche Elfe los. »Lass die Finger von ihm.«
»Für heute ja.« Sie schaute noch einmal zurück ins Zimmer. Dabei öffneten und schlossen sich ihre Flügel, ganz langsam, wie bei einem Schmetterling, der sich ausruht. »Aber ich finde, er könnte wirklich was Besseres kriegen.«
Verfluchte Elfen . Ashlyn öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen.
»Kein Interesse«, rief Seth von hinten.
»Blöde Zicke«, sagte eins der Mädchen im Gehen zu Ashlyn. Sie stapfte hinaus, als hätte sie ein Recht dazu, beleidigt zu sein. »Du hättest nicht so grob zu sein brauchen. Sie hat doch bloß mit ihm geflirtet.«
»Jungs mögen keine aggressiven Frauen. Sie wollen lieber richtige Ladys«, sagte die andere.
Jimmy blieb an der Tür stehen und erwiderte todernst: »Stimmt. Der ultimative Scharfmacher ist das nicht.« Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Aber wenn du mal genug von Seth hast …«
Mitchell schubste ihn. »Halt die Klappe.«
Für alle außer Ashlyn unsichtbar huschten einige von den ständig wechselnden Elfen davon.
Ashlyn schloss die Tür und lehnte sich von innen dagegen.
Seth hatte sich schon wieder dem übelriechenden Gebräu zugewandt und rührte darin herum. »Da du sonst nicht der eifersüchtige Typ zu sein scheinst, nehme ich an, dass sie eine Elfe war.«
»Mit Flügeln und allem Drum und Dran.«
Sie ging zu ihm hin, zog ihn an sich und küsste ihn. »Aber es könnte auch sein, dass ich mehr zum eifersüchtigen Typ neige, als ich bislang dachte.«
Er grinste. »Hab ich kein Problem mit.«
Er legte den Kochlöffel weg und folgte ihr zum Tresen. »Aber ich dachte, sie mögen keinen Stahl.«
»Tun sie auch nicht. Deshalb hat sie ja auch versucht, dich nach draußen zu locken. Sie war stark genug, hier reinzukommen, aber nicht stark genug, um lange zu bleiben. Sie konnte nicht mal ihren Zauber richtig aufrechterhalten.« Sie sammelte noch eine Handvoll Kräuter zusammen, um sie zu zerstampfen. »Tust du mir einen Gefallen?«
»Immer.«
»Bleib heute Abend zu Hause.« Sie suchte ein paar dickere Zweige heraus und schaute zur Eingangstür, die plötzlich nur noch ein dünner Schutzwall gegen die wachsende Zahl von Elfen da draußen zu sein schien.
»Um dasselbe könnte ich dich bitten«, murmelte er. Er hielt sie ganz fest.
Sie schloss die Augen und legte ihre Wange an seine Brust. »Wenn ich nicht bald herausfinde, was los ist, wird Grams mich aus der Schule nehmen. Lange kann ich sie nicht mehr hinhalten, und ich möchte sie nicht anlügen und sagen, sie hätten sich verzogen.«
»Ich könnte ja mitkommen …«
»Er wird nicht mit mir reden, wenn ich dich mitbringe. Es ist wichtig, dass er denkt, ich würde ihm vertrauen.« Sie reckte sich, um ihn zu küssen, und fügte dann hinzu: »Wenn das nicht funktioniert, probieren wir was anderes.«
Er schaute sie besorgt an, ängstlich – und genau das wollte sie nicht sehen; sie wollte nicht, dass er Angst um sie hatte. Aber schließlich nickte er. »Pass auf dich auf, ja?«
»Ich werd mich bemühen …«
Denn wenn sie es nicht tat, würde ihr alles weggenommen werden – die Schule, die Freunde, Seth, alles. Hoffentlich verplapperte Keenan sich. Hoffentlich sagten die Elfen irgendetwas, das ihr einen Hinweis gab, wie sie ihn wieder loswurde. Sie mussten es einfach tun.
Siebzehn
»Wenn sie einen einmal mit sich nehmen und man isst
von ihren Speisen … kann man nicht mehr zurück.
Man ist verändert … und lebt für immer bei ihnen.«
W. Y. Evans-Wentz: Der Elfenglaube in keltischen Ländern (1911)
Eine halbe Stunde später ging Ashlyn die Sixth Street hinunter, und mit jedem Schritt wuchs ihre Angst. Der Gedanke an die Elfe, die bis in Seths Wohnung vorgedrungen war, machte es auch nicht besser. Was, wenn ich nicht da gewesen wäre? Ob sie ihm etwas antun würden? Sie hatte ihn nur ungern allein gelassen und wollte Keenan nicht treffen; am liebsten hätte sie mit dieser ganzen Katastrophe überhaupt nichts zu tun gehabt, aber sie musste herausfinden, was los war, brauchte Antworten. Und zwar von Keenan.
Er stand draußen vor dem Eingang und sah so normal aus, dass sie fast vergaß, dass er einer von ihnen war – und nicht nur ein Hofelf, sondern ein
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