Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
zogen zitternd darin ihre Kreise; weiße Sprenkel mischten sich unter die anderen Farben.
»Nein.« Sie spürte, wie ihr lebenslang aufgestauter Zorn auf die Elfen in ihr aufflammte. »Ich will dich nicht, okay? Geh einfach.«
Seufzend goss er das Sonnenlicht mit der einen Hand aus und fing es, ohne hinzusehen, mit der anderen wieder auf. »Du bist jetzt eine von uns. Eine Sommerelfe. Selbst wenn du keine wärst, würdest du trotzdem zu mir gehören, zu uns. Du hast Elfenwein mit mir getrunken. Hast du das etwa nicht in deinen Geschichten gelesen, Ashlyn? Trinke niemals mit Elfen.«
Obwohl sie nicht verstand, warum, klang das, was er sagte, glaubwürdig. Tief drinnen hatte sie gewusst, dass sie sich verwandelte – ihr sensibles Gehör, die seltsame Wärme direkt unter ihrer Haut. Ich bin eine von ihnen. Aber das hieß ja nicht, dass sie es auch akzeptieren musste.
Trotz ihrer wachsenden Wut hielt sie inne. »Warum hast du mich dann nach Hause gehen lassen?«
»Ich dachte, du wärest sicher wütend auf mich, wenn du neben mir aufwachst und …«, er verstummte und verzog den Mund zu einem sardonischen Grinsen, »… und ich will nicht, dass du wütend auf mich bist.«
»Ich will dich überhaupt nicht. Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?« Sie ballte ihre Hand zur Faust und versuchte, ihr Temperament zu zügeln, was ihr seit einer Woche immer schwerer fiel.
Er kam näher und ließ das Sonnenlicht auf ihren Arm strömen. »Die Regeln verlangen, dass du eine Wahl triffst. Wenn du der Prüfung nicht zustimmst, wirst du eins von den Sommermädchen – und bist an mich gebunden wie ein Kitz an sein Muttertier. Ohne mich wirst du sterben und ein Schatten werden. Das liegt in der Natur der Elfen, die nicht als solche geboren wurden, und ist das Ende aller Sommermädchen.«
Ihre Wut – die sie all die Jahre so gut unter Kontrolle gehalten hatte – ließ sich kaum mehr bezähmen.
Beherrschung. Ashlyn grub die Fingernägel in ihre Handflächen, um nicht zuzuschlagen. Konzentration. »Ich werde keine Elfe in deinem Harem sein, oder sonstwo.«
»Also tu dich mit mir zusammen, und nur mit mir: Das ist deine einzige Chance.« Damit beugte er sich vor und küsste sie mit geöffneten Lippen. Es war, wie Sonnenschein zu schlucken, wie dieses wohlige Gefühl nach zu vielen Stunden am Strand. Es war herrlich.
Sie stolperte rückwärts, bis sie an einen Fensterrahmen stieß.
»Rühr mich nicht an«, sagte sie und legte ihren ganzen Zorn in diese Worte.
Ihre Haut begann ebenso hell zu leuchten, wie seine es getan hatte. Sie starrte entsetzt auf ihre Arme und rieb sie, als könne sie das Leuchten wegwischen. Vergeblich.
»Ich kann nicht. Du gehörst schon seit Jahrhunderten zu mir. Du bist mir zugedacht.« Er trat erneut an sie heran und blies ihr ins Gesicht, als wäre sie eine Pusteblume.
Entrückt verdrehte sie die Augen; alle Genüsse, die sie je unter der Sommersonne empfunden hatte, verschmolzen zu einer scheinbar endlosen Liebkosung. Sie lehnte sich neben ihm an die raue Backsteinwand. »Geh weg.«
Sie fischte in ihrer Tasche nach den Salztütchen, die Seth ihr gegeben hatte, und riss sie auf. Es war ein schwacher Wurf, aber etwas von dem Salz rieselte auf ihn herab.
Er lachte. »Salz? Oh, du Süße, du bist unbezahlbar.«
Es kostete sie beinahe mehr Kraft, als sie aufbringen konnte, aber sie drückte sich von der Wand ab. Dann nahm sie das Pfefferspray heraus: Das wirkte gegen alles, was Augen hatte. Sie zog den Deckel ab, ließ die Sicherung hochschnappen und zielte auf sein Gesicht.
»Mut und Schönheit«, flüsterte er ehrfurchtsvoll. »Du bist perfekt.«
Dann ließ er seinen Zauber verblassen und gesellte sich zu den anderen unsichtbaren Elfen, die auf der Straße unterwegs waren.
Nach einem halben Block blieb er stehen und flüsterte: »Diese Runde gestehe ich dir zu, aber trotzdem werde ich das Spiel gewinnen, meine schöne Ashlyn.«
Und sie hörte es so deutlich, als würde er noch immer neben ihr stehen.
Dreiundzwanzig
»Ihre Geschenke sind für gewöhnlich an Bedingungen
geknüpft, die ihren Wert schmälern und
manchmal ein Quell von Kummer und Verlust sind.«
Edwin Sidney Hartland: Die Wissenschaft vom Märchen:
Eine Untersuchung zur Mythologie der Elfen (1891)
Noch bevor sie an der Tür war, wusste Donia, wer draußen stand. Keine Elfe hätte sich getraut, so an ihre Tür zu hämmern.
»Ein Spiel also, ja?« Ashlyn stürmte ins Zimmer, ihre Augen funkelten. »Ist es das
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