Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
sie schon häufig Freunden gegenüber verspürt hatte, aber einer Elfe gegenüber noch nie. Vielleicht lag es daran, dass er im Club so traurig ausgesehen hatte und ihr immer mehr bewusst wurde, dass er genauso in der Falle saß wie sie.
Gegen uns beide zusammen könnte Beira nicht ankommen. Nicht gegen den Sommerkönig und seine Königin . Sowenig ihr diese Möglichkeit auch behagte – sie ergab durchaus einen Sinn, wenn sie darüber nachdachte.
»Dann bis zum nächsten Mal, meine Lieben.« Beira wedelte mit der Hand durch die Luft und zwei vertrocknet aussehende Hexen traten vor, um sie zu flankieren, wie die Hofdamen in alten Gemälden. Unter ihrem Zauber hatten diese Elfen so gar nichts von der dunklen Schönheit Beiras; sie sahen aus, als hätte jemand alles Leben aus ihnen herausgesaugt und leere, ausgezehrte Hüllen mit glasigen Augen zurückgelassen.
Dann schritten die drei, ohne sich noch einmal umzusehen, die Straße hinunter. In Beiras Fußstapfen glitzerten Scherben aus Eis, scharf wie zerbrochenes Glas.
Ashlyn sah Keenan an. »Was für ein Miststück. Alles okay bei dir?«
Aber Keenan sah sie mit Ehrfurcht im Blick an. Er legte eine Hand an seine Wange; sie konnte zusehen, wie die Frostbeulen verschwanden und nur ein roter Abdruck an der Stelle zurückblieb, wo ihre Lippen seine Haut berührt hatten.
Seine »Onkel« kamen von beiden Seiten heran. Die Leibwächter scharten sich um sie. Zu wenige, zu spät. Sie redeten alle zugleich auf ihn ein.
»Ist Beira weg?«
»Bist du …?«
Aber Keenan ignorierte sie. Er hob Ashlyns Hand an seine Wange und hielt sie dort fest. »Das hast du gemacht.«
Eine der Elfen kam näher. »Was hat sie gemacht? Bist du verletzt?«
»Aber Beira hat es doch nicht gesehen, oder?«, fragte Keenan.
Seine Augen weiteten sich, und Ashlyn sah winzige lila Blumen darin aufblühen.
Sie zog ihre Hand weg und schüttelte den Kopf. »Das hat nichts zu bedeuten, es ändert nichts. Ich war nur … Ich weiß nicht mal, warum ich das getan habe.«
»Aber du hast es getan«, flüsterte er und umfasste ihre beiden Hände. »Und du siehst ja, wie viel besser es jetzt ist.«
Sie zitterte.
Er schaute sie an, als wäre sie der Gral, von dem er gesprochen hatte, und sie wollte nichts als weglaufen, weit und schnell, laufen, bis sie nicht mehr konnte.
»Wir wollten reden. Du hast gesagt …« Die Worte blieben ihr im Halse stecken, als ihr schlagartig bewusst wurde, was das alles bedeutete: Es ist wahr. Ich bin die … Sie konnte es nicht einmal denken, aber sie wusste, dass es stimmte, und er wusste es ebenfalls. Sie schüttelte den Kopf.
»Erklärt uns mal jemand, was hier los ist?« Der ruhigere Elfen-Onkel kam ein Stück näher.
Ohne ihre Hände loszulassen, nickte Keenan ihnen zu, um zu signalisieren, dass sie näher treten sollten. »Ashlyn hat die Verletzungen geheilt, die die Winterkönigin mir zugefügt hat«, sagte er und seine Stimme war nur ein leises Flüstern, wie das ferne Grollen eines Gewitters.
»Aber ich wollte das gar nicht«, protestierte sie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Jedes bisschen Beschützerinstinkt oder Freundschaft war verschwunden, aber er hörte nicht auf, ihre Hände fest zu umklammern.
»Sie hat Beiras Frost geküsst, und er ist verschwunden. Sie hat Beiras Berührung ungeschehen gemacht. Sie hat mir ihre Hand angeboten – freiwillig – und mich dadurch stärker gemacht.« Er ließ eine ihrer Hände los, um erneut seine Wange zu berühren.
»Sie hat was getan?«
»Sie hat mich mit einem Kuss geheilt, ihre Kraft mit mir geteilt.« Ihre Hand in seiner, fiel Keenan auf die Knie und sah zu ihr hoch. Goldene Tränen liefen über sein Gesicht wie flüssiger Sonnenschein.
Die anderen Elfen sanken auf der schmutzigen Straße neben ihm auf die Knie.
»Meine Königin.« Keenan ließ ihre Hand los und wollte ihr Gesicht berühren.
Aber sie rannte los. Sie rannte, wie sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gerannt war, zerdrückte das immer noch glitzernde Eis unter ihren Füßen, um vor dem Sonnenlicht zu fliehen, das in Keenan aufschien.
Keenan verharrte noch einige Zeit auf den Knien, nachdem Ashlyn weggelaufen war. Auch von den anderen erhob sich keiner.
»Sie ist weg.« Er wusste, dass er schwach klang, aber es interessierte ihn nicht. »Sie ist es, aber sie ist weg. Sie weiß es und ist trotzdem gegangen.«
Er starrte die Straße hinunter, durch die sie verschwunden war. Sie hatte sich nicht ganz so schnell bewegt wie
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