Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
gar nicht stark genug, auszuhalten, was er mit ihr vorhatte. Gebrochen und stark – die perfekte Mischung für ihn.
Aber dass diese anderen sie berührt hatten, würden sie trotzdem mit dem Leben bezahlen.
Nachdem Leslie mit ihrer Empfehlungsliste fertig war, stand sie schweigend vor ihm und sah ihn erwartungsvoll an. Abgesehen von einem raschen Seitenblick zu Gabriel konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit ganz auf Irial. Und wie die Sterbliche ihn ansah, gefiehl ihm besser, als er erwartet hatte. Er mochte ihren Hunger. »Leslie, darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«
»Sir?« Sie lächelte erneut, nun aber etwas zaghafter. Ihre Angst blitzte auf und zeigte sich in einer leichten Verschiebung der Schatten, die sein Herz höherschlagen ließ.
»Ich kann mich heute nicht richtig entscheiden« – sein Blick schoss zu Gabriel, dessen ersticktes Lachen sich in ein lautes Husten verwandelte –, »was das Essen angeht. Würden Sie für mich bestellen?«
Sie runzelte die Stirn und warf einen hilfesuchenden Blick zur Oberkellnerin, die sie sofort aufmerksam beobachtete. »Wenn Sie hier Stammkunde sind, bitte ich um Verzeihung, aber ich erinnere mich nicht an Sie …«
»Nein, bin ich nicht.« Er ließ einen Finger über ihr Handgelenk gleiten, was gegen die Etikette der Sterblichen verstieß, aber er konnte einfach nicht widerstehen. Sie gehörte ihm. Es war zwar noch nicht offiziell, aber das machte nichts. Er lächelte sie an, setzte seinen Zauber für den Bruchteil einer Sekunde außer Kraft, zeigte ihr sein wahres Gesicht – um sie zu testen, um Angst oder Sehnsucht in ihr zu wecken – und fügte hinzu: »Bestellen Sie einfach, was Sie für richtig halten. Überraschen Sie mich. Ich liebe Überraschungen.«
Ihr perfektes Kellnerinnen-Lächeln verrutschte etwas; ihr Herz flatterte. Und er spürte ihn, diesen kurzen Anfall von Panik. Er konnte diese Panik nicht schmecken, noch nicht, aber fast. Sie war wie ein intensives Aroma, das aus der Küche hereinwehte, verheißungsvolle Geschmacksspuren von etwas, das er nicht zu sich nehmen konnte.
Er öffnete das schwarz lackierte Zigarettenetui, das er in letzter Zeit am liebsten benutzte, und nahm eine Zigarette heraus. Er beobachtete sie dabei, wie sie versuchte, aus ihm schlau zu werden. »Würden Sie das für mich tun, Leslie? Würden Sie sich um mich kümmern?«
Sie nickte langsam. »Haben Sie irgendwelche Allergien oder …«
»Zumindest gegen nichts auf Ihrer Karte. Keiner von uns.« Er klopfte die Zigarette auf den Tisch, um den Tabak zu verdichten, und sah Leslie an, bis sie verlegen wegschaute.
»Soll ich für Sie auch bestellen?«, fragte sie mit einem Blick zu Gabriel.
Gabriel zuckte die Achseln, während Irial antwortete: »Ja, für beide.«
»Sind Sie sicher?« Sie musterte ihn angespannt und Irial vermutete, dass sie bereits etwas von den Veränderungen spürte, die sie bald überrollen würden. Ihre Augen hatten sich ein ganz klein wenig geweitet, während ihre Ängste aufflackerten und wieder abflauten. Wenn sie später an ihn zurückdachte, würde sie sich nur deshalb an ihn erinnern, weil sie ihn ein bisschen seltsam gefunden hatte. Doch bis sie das Ausmaß ihrer körperlichen Veränderungen begriff, würde es noch einige Zeit dauern. Sterbliche hatten so viele mentale Widerstände zu überwinden, bis sie den Sinn von etwas erfassten, das ihrer vorgefassten Meinung oder ihren Vorstellungen zuwiderlief. Manchmal waren ihm diese Widerstände ganz nützlich.
Er zündete seine Zigarette an und hielt Leslie noch ein bisschen hin, um weiter beobachten zu können, wie sie sich wand. Er nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerknöchel, womit er sich – gemessen an seiner Verkleidung und an seinem Aufenthaltsort – noch einmal vollkommen unpassend verhielt. »Ich bin sicher, Sie bringen mir genau das, was ich brauche.«
Angst stieg in ihr auf und verquickte sich mit einem unverkennbaren Aufblitzen von Verlangen und einem Fünkchen Wut. Ihr Lächeln verrutschte diesmal jedoch nicht.
»Dann gebe ich jetzt Ihre Bestellung auf«, sagte sie, trat einen Schritt zurück und entwand ihm ihre Hand.
Er zog an seiner Zigarette und beobachtete, wie sie davonging. Das dunkle, rauchgraue Band zwischen ihnen dehnte sich und wand sich durch den Raum wie ein Pfad, dem er folgen konnte.
Bald .
An der Tür drehte sie sich noch einmal zu ihm um, und fast konnte er ihre Angst schmecken, die nun erst ihren Höhepunkt erreichte.
Er fuhr sich mit der Zunge
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