Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
zwang sie sich dann zu sagen. »Lass mich los.«
Niall machte einen Schritt auf sie zu. »Lass sie in Ruhe.«
Seine Augen werfen tatsächlich Blitze .
»Sie ist eine Freundin unseres Hofes, Ashlyns Freundin, meine.« Niall trat so dicht an Irial heran, wie er konnte, ohne ihn zu berühren.
Hof?
»Deine Familie erhebt Anspruch auf mein Mädchen?« Irial zog sie zu sich hoch, so dass sie auf einer Augenhöhe waren. Dann betrachtete er sie eingehend, als würde er Geheimnisse entschlüsseln, die auf ihrer Haut standen. »Nein, ihr habt keinen Anspruch auf sie.«
Anspruch? Leslie sah erst ihn, dann Niall, dann die Fremden um sie herum an. Dies ist nicht meine Welt.
»Lass mich los«, sagte sie. Ihre Stimme klang nicht besonders fest, aber sie hatte sie wiedergefunden.
Und er ließ sie los. Er ließ sie los und trat so plötzlich zurück, dass sie nach seinem Arm greifen musste, um nicht zu stürzen. Sie fühlte sich gedemütigt.
»Verschwinde hier«, sagte Niall. Seth trat aus der Menge der Umstehenden heraus. Er streckte seinen Arm nach ihr aus – eine für seine Verhältnisse ungewöhnlich freundschaftliche Geste – und zog sie von Irial weg.
»Bald, mein Liebling«, wiederholte Irial noch einmal und verbeugte sich tief.
Leslie erschauderte. Hätten ihre Beine ihr gehorcht, wäre sie aus dem Club gerannt. Doch sie schaffte es nur noch, neben Seth herzustolpern.
Dreizehn
Leslie und Seth waren schon mehrere Blocks vom Club entfernt, als sie sich endlich traute ihn anzusehen. Sie waren nicht befreundet – weil er es nicht wollte –, aber trotzdem vertraute sie ihm mehr als den meisten anderen Jungs. Und es war ihr trotzdem nicht egal, was er dachte.
Sie waren schon fast am Comicladen, als sie ihre Sprache wiederfand. »Es tut mir leid.«
Sie schaute ihn an, wendete den Blick aber sofort wieder ab, als sie seine wütende Miene sah. Seine Hände waren locker zu Fäusten geballt. Seth würde ihr nicht wehtun – das passte nicht zu ihm. Dennoch zuckte sie zusammen, als er nach ihrem Handgelenk griff.
»Was tut dir leid?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
Sie blieb stehen. »Dass ich so eine Szene gemacht habe, dass ich mich vor dir und Niall wie eine Schlampe aufgeführt habe, dass …«
»Unsinn.« Seth schüttelte den Kopf. »Das war nicht deine Schuld. Irial macht immer Ärger. Halt dich … halt dich einfach von ihm fern, wenn du ihm noch mal begegnest, okay? Lass ihn einfach stehen, wenn du kannst. Lauf nicht vor ihm weg, sondern geh einfach.«
Sie nickte stumm und Seth ließ ihr Handgelenk wieder los. Wie schon im Rath and Ruins war Leslie auch jetzt ganz sicher, dass er mehr wusste, als er sagte. Ob es um eine Sache zwischen Gangs geht? Sie hatte zwar noch nie davon gehört, dass es in Huntsdale echte Gangs gab, aber das musste ja nichts heißen. Was auch immer Seth wusste, er redete nicht darüber und sie hatte keine Ahnung, wie sie es anstellen sollte, etwas aus ihm herauszubekommen. »Wo gehst du eigentlich hin?«, fragte sie stattdessen.
» Wir gehen jetzt zu mir nach Hause.«
»Wir?«
»Weißt du einen anderen sicheren Ort, an dem du bleiben kannst, bis deine Arbeit anfängt?« Seine Stimme war sanft, aber es war klar, dass das keine ernstgemeinte Frage war.
»Nein«, gab sie zurück und wandte sich ab; sein wissender Blick war ihr unangenehm.
Er sagte nichts weiter, doch sie war plötzlich sicher, dass er – und mit ihm auch Ashlyn – von den üblen Zuständen bei ihr zu Hause wusste. Sie sah es ihm einfach an. Die beiden wussten, dass sie sie angelogen hatte, sie alle.
Leslie atmete tief durch und sagte dann: »Ren ist wahrscheinlich zu Hause, und dann ist das für mich … bestimmt kein sicherer Ort.«
Seth nickte. »Du kannst jederzeit bei uns übernachten, wenn du willst.«
Sie versuchte, dieses Angebot mit einem Lachen abzutun. »Ach was, es ist ja nicht so …«
Er zog seine Augenbrauen hoch.
Sie seufzte und hörte auf zu lügen. »Okay, ich werd drauf zurückkommen.«
»Möchtest du reden?«
»Nein. Jetzt nicht. Vielleicht ein andermal.« Sie blinzelte die Tränen weg, die ihr in die Augen gestiegen waren. »Ash weiß es also?«
»Dass Ren dich schlägt oder das, was sein Dealer getan hat?«
Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. »Beides, schätze ich.«
»Sie weiß es. Sie hat selbst schlimme Sachen erlebt, weißt du? Nicht das Gleiche, keine …« Er unterbrach sich. Er nahm sie weder in den Arm, noch unternahm er – wie andere
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