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Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis

Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis

Titel: Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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respektierte, genau wussten, was geschehen war. Ihr Verstand sagte ihr, dass es nichts gab, wofür sie sich schämen musste, aber es nützte nichts.
    Es tut weh . Aber das wollte sie nicht zulassen. Sie stand auf und fuhr mit einer Hand über die Skulpturen aus Metall, die vor dem Waggon wie Pflanzen aus dem Boden sprossen. Sie presste ihre Hand dagegen, bis die scharfen Metallkanten in ihre Haut schnitten, bis ihr das Blut aus den Fingern sickerte und auf den Boden tropfte, bis der Schmerz in ihrer Handfläche so stark wurde, dass sie nur noch an das Jetzt denken konnte, nicht mehr an die Vergangenheit, nicht an die anderen Schmerzen, die sie zu einem Häufchen Elend hatten zusammenschmelzen lassen.
    Denk an dieses Gefühl, an diesen Ort hier. Sie ließ los und betrachtete die tiefe Schnittwunde in ihrer Handfläche und die kleineren an den Fingern. Denk an das Jetzt.
    Im Augenblick war sie in Sicherheit. Das war mehr, als sie an anderen Tagen behaupten konnte.
    Sie öffnete die Tür und ging hinein. Dabei ballte sie die Hand zur Faust, damit das Blut nicht auf den Boden tropfte. Seth saß in einem der merkwürdigen gebogenen Stühle im Wohnzimmer. Seine Boa constrictor lag zusammengerollt in seinem Schoß, ein dicker Kringel, der bis zum Boden herabhing wie der Saum einer Decke.
    »Bin gleich wieder da«, sagte sie und ging an ihm vorbei in den zweiten Waggon, in dem sich das winzige Bad und Seths Schlafzimmer befanden. Vielleicht hatte er ihre seltsame Handhaltung gar nicht bemerkt.
    Dann rief er: »In der blauen Dose auf dem Fußboden sind Verbände, wenn du einen brauchst. Und ein bisschen Desinfektionsmittel ist bestimmt auch noch drin.«
    »Ja, danke.« Sie ließ kaltes Wasser über ihre Hand laufen und drückte dann ein paar Blätter Toilettenpapier darauf. Sie wollte ihre immer noch blutende Hand nicht an Seths Handtüchern abwischen. Nachdem sie den Verband angelegt hatte, ging sie wieder nach vorn.
    »Geht es dir besser?« Er spielte mit seinem Lippenring.
    Ashlyn hatte ihr mal erklärt, dass er das immer tat, um Zeit zu gewinnen oder andere hinzuhalten – nicht, dass Ashlyn damit ein großes Geheimnis ausgeplaudert hätte, aber sie schien einfach alles an Seth faszinierend zu finden. Leslie musste lächeln, als sie an die beiden dachte. Ashlyn und Seth verband etwas ganz Besonderes. So etwas war bestimmt nicht leicht zu finden, aber immerhin war es möglich.
    »Ja, ein bisschen«, antwortete Leslie und setzte sich auf Seths ramponiertes Sofa. »Ich sollte wohl die Skulptur – äh, abwaschen gehen.«
    »Später.« Er zeigte auf die Decke, die er ans Sofaende gelegt hatte. »Du solltest mal ein bisschen schlafen. Entweder hier oder hinten.« Er wies in den Flur, der zu seinem Schlafzimmer führte. »Was dir lieber ist. Der Schlüssel steckt.«
    »Warum bist du so nett zu mir?« Sie sah ihn an. Sie fragte nur ungern, aber sie musste es wissen.
    »Du bist Ashlyns Freundin. Also auch meine Freundin.« Er sah aus wie ein verrückter Gelehrter, wie er da mit der Boa auf dem Schoß und einem Stapel Bücher neben sich auf diesem merkwürdigen Stuhl saß. Zum Teil war das Surreale der einzelnen Details für diese Illusion verantwortlich, aber es steckte auch ein Fünkchen Wahrheit darin. Die Art, wie er sie ansah, wie er die Tür im Auge behielt. Er wusste, was für Leute da draußen warteten.
    »So, so, dann sind wir also Freunde. Seit wann denn das?«, flachste sie, um die Situation aufzulockern.
    Aber Seth lachte nicht. Er sah sie einen Moment an und streichelte den Kopf der Boa, die ihm die Schulter hinaufglitt. Dann sagte er: »Seit ich begriffen habe, dass du nicht so eine Idiotin bist wie Ren, sondern sein Opfer. Du bist ein guter Mensch, Leslie. Gute Menschen verdienen es, dass man ihnen hilft.«
    Das war nichts, worüber man flachsen konnte. Sie schaute weg.
    Ein paar Minuten lang schwiegen sie beide.
    Schließlich nahm sie die Decke und stand auf. »Macht es dir auch ganz sicher nichts aus, wenn ich hinten schlafe?«
    »Schließ die Tür ab. Ich bin nicht beleidigt, und du wirst besser schlafen können.«
    Sie nickte und ging. Im Flur drehte sie sich noch einmal um. »Danke.«
    »Sieh zu, dass du ein bisschen Schlaf kriegst. Später musst du mit Ash reden. Es gibt noch mehr …« Er unterbrach sich und seufzte. »Aber das sollte sie dir selbst erzählen. Okay?«
    »Okay.« Leslie hatte keine Ahnung, was für Dinge Ashlyn zu erzählen haben könnte, die noch schrecklicher oder seltsamer waren als das,

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