Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
stolzierte sie davon, um den Tresen mit einem Tuch zu polieren, das wie das Überbleibsel eines Totenhemdes aussah.
Was für eine herrliche Beute sie doch wäre.
Aber der Blick, den sie ihm zuwarf, stellte zweifelsfrei klar, dass sie diese ganze Situation eher amüsant als überzeugend fand. Far Dorchas Umfeld mochte zwar nicht in einem Hof organisiert sein, aber das brauchten diese Elfen auch nicht. Todeselfen hatten überall freien Zutritt, hielten sich aber aus dem Gezänk und den Verrücktheiten der Höfe heraus und schienen sich über sie alle zu amüsieren. Wenn er sie gut unterhielt, dann würde sie sich eventuell herablassen, ihn eines Tages zu besuchen. Dass sie sich an Keenans Hof aufhielt, sprach sehr für den jungen König.
Es änderte aber nichts daran, dass Irial Nahrung brauchte, die er hier zu finden hoffte. Er blieb noch, um die anderen Kellnerinnen zu necken und so den Zorn der Löwenjungen und der Ebereschenmänner auf sich zu ziehen. Schließlich beobachteten ihn die Kellnerinnen unter schweren Augenlidern hervor; die Wachen standen wütend stramm und beäugten ihn mit zornigen Blicken. Die Mischung aus dunklen Empfindungen – aus Gewaltbereitschaft und Lust –, die diese Gruppe ausstrahlte, bot ihm noch keine ordentliche Mahlzeit, aber sie nahm seinem Hunger wenigstens die Spitze.
Er seufzte und gestand sich widerwillig ein, dass er die letzte Winterkönigin vermisste – nicht sie persönlich, aber die Nahrung, die sie ihm in all den Jahren zugeführt hatte. Der Preis war hoch gewesen, selbst an den Maßstäben der Dunkelelfen gemessen, doch seit ihrem Tod hatte er nur selten eine ordentliche Mahlzeit bekommen. Der Tintentausch bei Leslies Tattoo würde das ändern.
Vielleicht würde das ja auch am Sommerhof ein bisschen Chaos stiften.
Mit diesem erfreulichen Gedanken erhob er sich und verneigte sein Haupt vor der Geistfrau, die nun aufmerksam wartete. »Meine Liebe.«
Mit ebenso unbewegter Miene wie bei seiner Ankunft machte sie vor ihm einen Knicks.
Irial wandte sich Niall und den finster dreinschauenden Wachen zu. »Sag deinem König, dass ich morgen mal vorbeikomme.«
Niall nickte. Sein Eid verpflichtete ihn dazu, diese Worte an seinen König weiterzuleiten, und das Gesetz verpflichtete ihn dazu, die Anwesenheit eines anderen Regenten zu tolerieren, solange sein König dadurch nicht bedroht war.
Aber nur widerwillig.
Irial schob seinen Stuhl zurück und ging auf Niall zu. »Ich glaube, ich versuche jetzt mal, den kleinen Leckerbissen zu finden, der eben hier getanzt hat. Hübsches Ding, nicht wahr?«, flüsterte er mit einem Augenzwinkern.
Nialls Gefühle schlugen sofort hoch, Eifersucht, vermischt mit Besitzansprüchen und brennender Sehnsucht. Auch wenn seine Miene nichts davon verriet, konnte Irial es schmecken. Wie Zimt. Niall hatte ihm schon immer viel Vergnügen bereitet.
Irial schlenderte lachend aus dem Club; wenn er daran dachte, wie unerwartet positiv sich dieser Tag entwickelt hatte, spürte er fast so etwas wie Befriedigung.
Fünfzehn
Als Irial ging, war Niall sicher, dass der König der Finsternis versuchen würde, Leslie wiederzusehen – und sei es nur, um Keenan zu provozieren. Oder mich . Obwohl Irial nicht direkt versuchte, sich an Niall dafür zu rächen, dass er sein Angebot ausgeschlagen hatte, seinen Thron zu erben, wussten sie beide, dass dieser Affront nicht verziehen war. Leslie war doppelt verletzlich, weil sie zum einen Ashlyns Freundin war und zum anderen Nialls … ja was? Nicht seine Geliebte, aber vielleicht seine Freundin – ja, er könnte ihr Freund sein. Er konnte ihr Gesellschaft leisten, ihr nahe sein; er konnte alles haben, was er wollte – nur eins nicht. Wenn sie nur in Sicherheit ist … Niall konnte nur hoffen, dass Leslie Irial nie wieder über den Weg laufen würde. Aber die Hoffnung allein reicht nicht aus.
Ein Tumult an der Tür kündigte die Ankunft von Ashlyn und Keenan an.
»Wo ist Seth?« Keenan hatte den Raum noch nicht ganz durchmessen, als er schon die Frage stellte, die für den Hof von höchster Wichtigkeit war. »Ist er in Sicherheit?«
Ashlyn war nicht an seiner Seite; sie war von den Löwenjungen aufgehalten worden, damit Keenan Niall zuerst ohne sie befragen konnte. Das war ein müder Trick, aber er verschaffte dem König einen kurzen Vorsprung.
»Ich hab ihn mit Leslie weggeschickt. Gut bewacht, aber …« Niall unterbrach sich, da die Sommerkönigin näher kam. Ihre Haut glühte vor Empörung. »Meine
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