Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
eine Geistfrau, in deren Augen Mondsicheln schimmerten, blieb stehen. Eine von Far Dorchas Haufen. Todeselfen hielten sich für gewöhnlich nicht am Sommerhof auf, wo es allzu fröhlich zuging. Was für eine hübsche Ablenkung! Er winkte sie näher heran. »Schätzchen?«
Sie beäugte die Löwenjungen, die Ebereschenmänner und Nialls düstere Miene – nicht etwa aus Angst, sondern um sich einen Überblick zu verschaffen, wer gerade wo stand. Geister kamen in fast jedem Konflikt alleine zurecht: Der Umarmung des Todes entkommt niemand; nicht, wenn der Tod einen wirklich will.
»Irial?« Die Stimme der Geistfrau trieb durch die Luft zu ihm hin wie ein erfrischender Schluck Mondlicht, lag jedoch so schwer wie Friedhofserde auf seiner Zunge.
»Bringst du mir einen heißen Tee, Liebes?« Irial legte die Spitzen von Daumen und Zeigefinger zusammen. »Mit einem winzigen Hauch Honig darin?«
Nach einer tiefen Verbeugung schwebte sie um die übrigen Elfen herum hinter den Tresen.
Es wäre bestimmt toll, sie zu Hause zu haben . Vielleicht war sie ja bereit mitzukommen.
Irial bedachte die finster dreinschauende Gruppe mit einem trägen Lächeln und ging ihr nach. Niemand trat ihm in den Weg. Das würden sie nie tun. Auch wenn er nicht ihr König war, so war er doch ein König. Sie würden – konnten – ihn weder angreifen noch aufhalten, ganz gleich wie viele ihrer zarten Gefühle er verletzte.
Die kleine Geistfrau stellte seinen Tee auf die glatte Obsidian-Platte, die den Tresen bildete.
Er zog sich einen Barhocker heran und postierte ihn so, dass er mit dem Rücken zu den Wachen des Sommerhofs saß. Dann wandte er sich wieder an die Geistfrau: »Sag mal, mein Schmuckstück, was machst du denn eigentlich hier bei dieser Meute?«
»Dies ist mein Zuhause.« Sie strich mit ihren Fingern, die so feuchtkalt waren wie ein Grab, über sein Handgelenk.
Anders als die anderen Elfen im Club oder auf den Straßen waren Geisterelfen immun gegen ihn, ihr konnte er also keinerlei Angst einjagen. Doch sie würde die Angst der anderen heraufbeschwören: Ihresgleichen war eine schreckliche Schönheit eigen, die alle anderen fürchteten – nach der sie sich aber manchmal auch sehnten.
»Bist du hier gebunden oder bist du freiwillig hier?«, hakte er nach. Er konnte es nicht lassen, ihr nachzustellen – sie würde für seine Elfen ein solcher Gewinn sein.
Sie lachte, woraufhin ihn ein Gefühl durchströmte, als würden Maden durch seine Adern kriechen.
»Vorsicht«, mahnte sie mit einer Stimme, die silbrig-kalt war wie das Mondlicht. »Nicht jeder hier ist unwissend, was die Gepflogenheiten deines Hofs angeht.«
Durch den Farbregenbogen, der sich über dem Tresen aus Obsidian wölbte, warf er ihr einen nervösen Blick zu. Zwischen den violetten Streifen, die der Stein reflektierte, und dem blauen Licht hinter dem Tresen sah sie grauenerregender aus als viele seiner eigenen Elfen in ihren besten Zeiten. Und ihre Andeutung, dass sie Bescheid wüsste, machte ihm Angst. Während der jahrhundertelangen grausamen Herrschaft Beiras waren die speziellen Gelüste seines Hofes leicht zu verbergen gewesen. Gewalt, Sittenlosigkeit, Terror, Gier und Raserei – all die Lieblingsmahlzeiten der Dunkelelfen hatte es in Hülle und Fülle gegeben, die Luft war förmlich von ihnen geschwängert gewesen. Doch die neuen, zunehmend friedlicheren Zeiten hatten dem ein Ende bereitet, sie erforderten eine größere Umsicht bei der Jagd.
Die Geistfrau beugte sich vor und presste ihre Lippen an sein Ohr. Wider besseres Wissen sah er, wie sich Bilder von Schlangen über seine Haut wanden, als sie flüsterte: »Grabgeheimnisse, Irial. Wir sind nicht so achtlos und vergesslich wie die Fröhlichen.« Dann löste sie sich wieder von ihm, womit auch die glitschige Empfindung verschwand, und schenkte ihm ein verstörendes Lächeln. »Und auch nicht so geschwätzig.«
»Gewiss. Ich werde es beherzigen, meine Liebe.« Er schaute sich nicht um, wusste aber trotzdem, dass alle diese Szene beobachtet hatten, ebenso wie er wusste, dass niemand die Geistfrau fragen würde, was sie ihm mitgeteilt hatte. Wer die Geheimnisse einer Todeselfe erfuhr, riskierte es, einen für jede Elfe zu hohen Preis dafür zu bezahlen. Deshalb sagte er nur: »Das Angebot steht jedenfalls. Wenn du mal ein neues Zuhause suchst …«
»Ich bin hier ganz zufrieden. Nimm dir, was du brauchst, bevor der König kommt. Ich muss mich jetzt um meine Angelegenheiten kümmern.« Damit
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