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Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis

Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis

Titel: Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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ein Landstreicher lag auf einer der seltsamen alten Bänke, die auf der ganzen Grünfläche verteilt waren. Alte Steinskulpturen glänzten wie Museumsstücke und das Wasser eines Springbrunnens stieg und fiel, als würde sein Rhythmus von einer Melodie bestimmt. Leslie betrachtete diesen seltsam verlockenden Park und fragte sich, wie etwas so Schönes ungenutzt bleiben konnte.
    »Können wir da reingehen?«
    »In den Park?« Niall folgte ihrem Blick. »Ja, warum nicht?«
    »Das ist kein Privatbesitz?« Das Wasser des Springbrunnens schillerte, als würde sich dort ein Mädchen wellenförmig in einer Art Tanz bewegen, den sie vergessen hatte, aber den ihre Knochen einmal gekannt hatten.
    Da ist tatsächlich ein Mädchen. Es tanzte mit über den Kopf erhobenen Händen, das Gesicht himmelwärts geneigt, als spräche es mit der Sonne oder dem Mond. Leslie ging näher heran, lehnte sich gegen die fast greifbare Luft, die sie am Weitergehen, am Erreichen dieses Brunnens zu hindern schien. Ohne auf den Verkehr zu achten oder einen bewussten Beschluss zu fassen, ging Leslie auf den Park zu. Dann blieb sie stehen, hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Angst und noch dazu unsicher, ob sie wirklich eines von beidem empfand.
    »Leslie? Alles klar mit dir?« Niall nahm ihre Hand und hielt sie davon ab, den Park zu betreten.
    Sie blinzelte. Das Bild des tanzenden Mädchens verschwand. Die Statuen glänzten plötzlich nicht mehr, und es waren nicht halb so viele, wie sie geglaubt hatte. Die Bäume blühten keineswegs und waren auch nicht so zahlreich wie zuerst gedacht. Stattdessen waren da nun Menschen, die sie vorher nicht gesehen hatte: Mädchen, von denen einige zu ihr und Niall herüberzuspähen schienen, spazierten in kleinen Gruppen durch den Park, kicherten und sprachen mit jungen Männern, die nun da standen, wo Leslie zuvor nur Bäume gesehen hatte.
    »Nichts ist mehr so, wie es scheint, Niall.« Leslie spürte, wie sie kurz von Panik gestreift wurde, aber diese Panik war irgendwie unwirklich – eher der flüchtige Hauch eines Gefühls, das kurz aufflackerte und wieder verschwand, noch bevor es sich richtig ausformen konnte. »Ich fühle mich … Ich weiß in letzter Zeit gar nicht, wie ich mich fühle. Ich habe keine richtige Angst mehr und kann nicht lange wütend bleiben. Und wenn ich etwas empfinde, dann ist es, als gehörte dieses Gefühl gar nicht mir. Ich sehe Dinge, die gar nicht sein können – Leute mit Dornen im Gesicht, mit beweglichen Tattoos, mit Hörnern. Dauernd sehe ich Dinge, die nicht real sind; eigentlich sollte ich Angst bekommen. Stattdessen schaue ich einfach weg. Mit mir stimmt irgendetwas nicht.«
    Er beschwichtigte sie nicht mit dem leeren Versprechen, das werde schon vorbeigehen oder das bilde sie sich bestimmt nur ein. Stattdessen sah er sie einfach nur mit schmerzerfüllter Miene an, als wüsste er mehr als sie.
    Was mich wütend machen sollte.
    Sie versuchte sich dazu aufzuraffen, wütend zu sein, doch die Unbeständigkeit ihrer Gefühle war inzwischen so weit fortgeschritten, dass sie sich wie eine Besucherin in ihrem eigenen Körper fühlte. Ganz ruhig, als wäre das alles eigentlich gar nicht wichtig, fragte sie ihn: »Weißt du, was mit mir los ist?«
    »Nein.« Er hielt inne. »Ich weiß nur, dass jemand Schreckliches an dir interessiert ist.«
    »Das sollte mir Angst machen.« Sie nickte, immer noch ruhig und immer noch angstfrei, im Gegensatz zu ihm.
    »Du schmeckst ängstlich, eifersüchtig und …«, sie schloss für einen Moment die Augen und spürte dieser seltsamen Empfindung nach, die sie auf ihrer Zunge beinahe hin- und herrollen konnte, »…traurig.«
    Sie schlug die Augen auf. »Woher weiß ich das, Niall?«
    Er sah sie verwirrt an; auch das konnte sie schmecken. Wenn seine Gefühle ehrlich waren, wusste er auch nicht mehr über ihre neue Gabe als sie selbst.
    »Du kannst …«
    »Deine Gefühle schmecken.« Sie betrachtete ihn, spürte, wie er versuchte sich zu beruhigen; es war, als würde er seine Gefühle in Kisten packen, die sie nicht öffnen konnte. Spuren verschiedener Geschmacksrichtungen – Chicorée und Honig, Salz und Zimt, Minze und Thymian – schwebten wie Schatten vorbei.
    »Das ist eine seltsame Wortwahl.« Er wartete; das war keine Frage gewesen, aber beinahe.
    Darum erzählte sie ihm mehr darüber, was in ihr vorging. »Ich habe seltsame Ausbrüche und trete manchmal richtig weg. Ich spüre und sehe ganz viele Dinge, die ich nicht erklären

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