Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Sicherheit gesorgt, hatten sie nicht glücklich gemacht. All das würde er nun tun. »Wenn sie sich erst an die Veränderungen gewöhnt hat …«
»Welche Veränderungen? Du hast doch gesagt, sie wäre immer noch sterblich. Was hast du mit ihr gemacht?«
Winzige Gewitter brauten sich um sie herum zusammen, bis der gesamte Club verhangen war. Das Gespräch würde keine positive Wendung mehr nehmen, also stand Irial auf und verbeugte sich. »Mein Hof handelt mit dunkleren Gütern als deiner. Den Rest zu erzählen, obliegt nicht mir. Wenn sie will, wird sie es später einmal selbst tun.«
Damit verließ er die Sommerkönigin und ihr Gefolge aus finster dreinschauenden Wachen. Obwohl sein Hof Zwietracht unter den Bewohnern der Elfenwelt brauchte, hatte er gerade keine Geduld zum Taktieren. Es gab etwas Wichtigeres – jemand Wichtigeres –, dem er sich widmen musste.
Sechsundzwanzig
Leslie und Seth waren schon mehrere Blocks weit gelaufen, als sie ihn fragte: »Weißt du eigentlich, was hier gespielt wird?«
»Sie sind keine Menschen«, antwortete Seth, ohne aus dem Tritt zu kommen. »Keiner von ihnen.«
»Aha.« Leslie machte ein finsteres Gesicht. »Danke. Deine Scherze bringen mich jetzt echt weiter.«
»Das ist kein Scherz, Leslie.« Er schaute an ihr vorbei, als wäre da jemand, und lächelte die leere Straße an. »Frag Irial, ob er dir die Sehergabe verleiht. Sag ihm, dass du sie verdient hast.«
»Die Sehergabe?« Sie schlug nicht nach ihm, doch sie hätte große Lust dazu gehabt. Sie war völlig aus dem Gleichgewicht, und er machte sich auch noch lustig über sie.
»Und Wachen soll er dir auch geben«, fügte er hinzu. Dann blieb er stehen und zeigte in die Leere vor ihnen. »Zeigt es ihr.«
»Wer soll mir wa…?«
Ein Mädchen mit schwarzen, ledrigen Flügeln tauchte plötzlich vor ihr auf. Ihr Lächeln hatte etwas Raubtierhaftes. »Ooh, bekommen wir was Neues zum Spielen?«
Nialls Stimme ertönte hinter ihnen. »Hau ab, Cerise! Sie gehört jetzt Irial.«
»Irial hat eine Sterbliche genommen? Echt? Sie ist ein bisschen gewöhnlich, findest du nicht?« Das geflügelte Mädchen sah erstaunt, amüsiert und neugierig zugleich aus.
Leslie starrte sie an: Sie konnte sich nicht zu Niall umdrehen, konnte es nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. Gehören? Was ist denn dann mit uns? Und was ist mit all dem, was er mir zugeflüstert hat? Gehören? Ein Wutanfall fegte ihre Traurigkeit davon, doch die Wut verschwand gleich darauf wieder. Gehören? Wie ein billiges Schmuckstück? Ich gehöre mir selbst. Aber sie sagte nichts von alldem und drehte sich auch nicht zu ihm um, damit er die Verwirrung in ihrem Gesicht nicht sah. Stattdessen machte sie einen Schritt auf das geflügelte Mädchen, auf Cerise, zu.
Cerise schlug mit den Flügeln. »Sie sind echt.« Und da sie ein rückenfreies Top trug, konnte Leslie sehen, dass die Flügel wirklich aus ihrer Haut sprossen. »Oh, Mann, Schätzchen, dir stehen echt gute Zeiten bevor. Der hat eine Ausdauer, das glaubst du nicht …«
In dem Moment packte sie etwas – etwas Unsichtbares – von hinten; sie bewegte sich rückwärts, ohne selbst erkennbar irgendetwas dazu beizutragen. Wellen von Hass gingen von diesem unsichtbaren Jemand aus und rollten durch die Luft in Leslies Haut hinein, erfüllten sie und verflüchtigten sich wieder, bevor sie sich richtig einnisten konnten.
»Gut, gut, ich geh ja schon«, giftete Cerise. Dann winkte sie und verschwand. Nur ihre körperlose Stimme war noch zu hören: »Dann bis bald mal, Süße.«
Leslie sank auf den Bordstein. Sie zitterte, bebte am ganzen Körper, weil irgendetwas mit ihr nicht stimmte, sie aber nicht benennen konnte was. Es war nicht nur so, dass sie wusste, was andere fühlten; inzwischen war es mehr als das: Die Emotionen um sie herum waren fast greifbar für sie, und sie drangen ihr unter die Haut.
»Sie hatte Flügel«, brachte sie hervor.
Seth nickte.
»Und sie hat sich wirklich in Luft aufgelöst? Ist einfach verschwunden?« Leslie versuchte sich zu konzentrieren. In der Wohnung über ihr weinte eine Frau so bitterlich, dass Leslie das Gefühl hatte, Kupfer zu schlucken.
Niall half Leslie auf die Beine. Er beugte sich vor, so dass seine Lippen ganz nah an ihrem Gesicht waren. »Ich hab dich schon wieder enttäuscht«, murmelte er leise, »aber ich werde nicht aufgeben. Denk immer daran: Ich lasse nicht zu, dass er dich behält.«
Leslie sah von ihm zu Seth. Sie wollte, dass Seth ihr sagte,
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